Weiterbauen in Mattersburg? Fragwürdiges Vorgehen rund um den Teilbebauungsplan Michael Koch-Straße

Weiterbauen in Mattersburg? Fragwürdiges Vorgehen rund um den Teilbebauungsplan Michael Koch-Straße

Stellungnahme von ÖGFA und DOCOMOMO Austria

Das nachhaltige, ressourcenschonende und den Bestand nützende Weiterbauen an Dorf und Stadt zählt zu den zentralen Aufgaben unserer Zeit. Klimakrise und Ressourcenknappheit verlangen nach einem neuen Denken in Architektur und Städtebau. Während an den Hochschulen bereits ein Paradigmenwechsel voll im Gange ist, hat sich in der alltäglichen Planungs- und Baupraxis oftmals noch kein derartiges Umdenken durchgesetzt, wie das derzeit in Diskussion befindliche „Stadtentwicklungsprojekt“ in der Michael Koch Straße in Mattersburg bedauerlicherweise zeigt. Die Österreichische Gesellschaft für Architektur und DOCOMOMO Austria sehen sich vor diesem Hintergrund dazu veranlasst, zu diesem Vorhaben Stellung zu nehmen, Sie auf die Problematiken in fachlicher Hinsicht aufmerksam zu machen und alternative Lösungsmöglichkeiten und Wege aufzuzeigen.

Das derzeit zur Diskussion stehende Areal liegt im nordwestlichen Randbereich des Mattersburger Stadtzentrums und wurde bis vor wenigen Jahren durch Wohn-, Gewerbe- und fallweise auch noch landwirtschaftliche Nutzungen geprägt. Heute zeigt sich das Gelände zu ca. zwei Drittel durch großflächige Abrisse durch den Vorbesitzer, der mittlerweile liquidierten Commerzialbank Mattersburg, als Brachfläche. Im restlichen Drittel, im westlichen Bereich, sind die für die städtebauliche Textur essentiellen Bestandsbauten noch erhalten. Es ist daher grundsätzlich zu begrüßen, an dieser Stelle weiterzubauen und die Stadtstruktur zu reparieren. In fachlicher Hinsicht problematisch erscheint uns allerdings, WIE dies nach derzeitigem Stand erfolgen soll.

Nach dem vorliegenden Teilbebauungsplanentwurf sollen auf dem Areal bis zu siebengeschossige Objekte, vor allem Wohnungen, und rund um einen neuen Platz ein Rathaus, das Bezirkspolizeikommando und ein Hotel errichtet werden. Die geplanten Objekte sprengen auf Grund ihres überdimensionierten Maßstabes in städtebaulicher Hinsicht die Stadttextur der noch immer in großen Teilen ländlich geprägten Kleinstadt mit ihrer großteils zwei- bis dreigeschossigen Bebauungsstruktur. Auch in der Situierung der Baukörper zeigen die Objekte keinen Bezug zum Umfeld und lösen sogar die derzeit bestehenden Straßenfluchtlinien und anderen städtebaulichen Bezüge auf. Der Neubau von Rathaus und Polizei ist generell zu überdenken, da deren Bestandsobjekte sehr gut in die Stadtstruktur integriert sind und sanierbar wären, eine Herangehensweise, die unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit Neubauten immer vorzuziehen ist.

Besonders kritisch sehen wir es aus fachlicher Sicht, dass, nachdem bereits durch die Flächenabrisse der letzten Jahre eine riesige Lücke in die Stadttextur geschlagen wurde, diese Lücke noch vergrößert werden soll, indem im vorliegenden Vorschlag auch noch die restlichen am Areal erhaltenen Bestandsbauten in einem zweiten Bauabschnitt zum Abbruch freigegeben werden sollen. Es ist gerade dieser Bestand, der mit der umgebenden Bebauung eine Art städtebauliche Torsituation zur Michael Koch Straße generiert. Darüber hinaus befindet sich am Areal, in der Michael Koch Straße Nr. 7, ein bedeutendes Objekt der Architektur der Zwischenkriegszeit im Burgenland, das bereits 1983 von Friedrich Achleitner in seinem Architekturführer sehr positiv bewertete Wohnhaus Seedoch der Architekten Julius Kappel und Rudolf Hutter aus den Jahren 1935-1936, das den Straßenraum durch die geschickte Staffelung des Gebäudevolumens in differenzierter Weise prägt. Neben diesen Qualitäten und Potentialen stellt der noch erhaltene Bestand auch einen unschätzbaren ökologischen Wert dar, da in ihm eine große Menge an grauer Energie gespeichert ist, die mit dem Abbruch verlorengeht und die im Sinne von ganzheitlichen Lebenszyklusanalysen von Gebäuden heute immer Teil der Öko-Bilanz sein sollte.

Diese nun aufgezeigten Defizite und Probleme rund um dieses Projekt sind unserer Einschätzung nach das Ergebnis eines in vielerlei Hinsicht nicht optimal verlaufenden Prozesses, der teilweise bereits mehrere Jahrzehnte andauert: Äußerst kritisch anzumerken ist insbesondere, dass mit dem neuen Eigentümer zwar 2021 ein „Ideenwettbewerb“ für das Gesamtareal durchgeführt wurde, dieser aber nicht nur sehr schwammige und teilweise fachlich fragwürdige Vorgaben – wie z.B. den Abbruch der Bestandsbauten – enthielt, sondern das siegreiche Wettbewerbsprojekt durch die Verdoppelung (!) der Bruttogeschoßfläche komplett verändert wurde. Erschwerend kommt hinzu, dass der „Ideenwettbewerb“ ohne Kooperation mit der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten durchgeführt wurde und daher deren erprobte Wettbewerbsstandards zur Qualitätssicherung nicht zur Anwendung kamen. Nicht zuletzt ist auch die Vergabe des Rathausneubaues am Bundesvergabegesetz vorbei eine hochproblematische Vorgangsweise, die möglicherweise durch kreative juristische Konstruktionen rechtlich zwar legal ist, aber dem Vorbildcharakter der öffentlichen Hand nicht gerecht wird.
WIR ERSUCHEN DIE VERANTWORTLICHEN DAHER, DAS PROJEKT UNTER TRANSPARENTER EINBINDUNG EINER GRUPPE ANERKANNTER NATIONALER UND INTERNATIONALER EXPERTINNEN UND EXPERTEN ÜBERPRÜFEN ZU LASSEN UND UNTER BERÜCKSICHTIGUNG FOLGENDER PUNKTE NEU ZU STARTEN:

Docomomo Austria
Kenyongasse 18/5
1070 Wien
info@docomomo.at

Österreichische Gesellschaft für Architektur (ÖGFA)
Liechtensteinstraße 46a/2/5
1090 Wien
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