Wissenschaftliche Betrachtung „Die Steiermärkische Landesbibliothek in der NS-Zeit“ präsentiert
Wissenschaftliche Betrachtung „Die Steiermärkische Landesbibliothek in der NS-Zeit“ präsentiert
Seit heute liegt eine umfassende wissenschaftliche Betrachtung der Geschichte der Steiermärkischen Landesbibliothek in der NS-Zeit vor. Sie wurde heute Vormittag (19.4.2023) als Band 46 der wissenschaftlichen Reihe „Veröffentlichungen der Steiermärkischen Landesbibliothek” durch Landeshauptmann Christopher Drexler in den Räumen der Landesbibliothek präsentiert.
Fachwissen, Ausdauer und Fingerspitzengefühl sind notwendig, wenn es um die Aufarbeitung eines der emotionsbeladensten Themen der Geschichte unseres Landes geht: die NS-Zeit. Es ist ernüchternd, aber über die älteste und größte österreichische Landesbibliothek lagen bisher nur wenige ausführliche wissenschaftliche Publikationen zur Geschichte des Hauses vor. Über die Geschichte der Steiermärkischen Landesbibliothek in der NS-Zeit legt die Bibliothek aktuell nun eine ausführliche Publikation über diesen Zeitraum vor.
Anhand bislang nicht herangezogener Quellen und teilweise unbekannten Archivmaterials zeichnet die Autorin Katharina Bergmann-Pfleger in ihrer Studie ein detailliertes Bild der Geschehnisse in und rund um die Steiermärkische Landesbibliothek im Betrachtungszeitraum 1933 bis 1950 nach. Dabei fördert die Spurensuche mehr Kontinuitäten denn Brüche zutage: Sich schnell und widerspruchslos an die neue Herrschaftsform anpassend, verhielt sich die steirische Institution bis zum Zusammenbruch des Dritten Reichs durchwegs vorschriftsgemäß und regimekonform, während es das handelnde Personal – allen voran der Bibliotheksdirektor Julius Franz Schütz – geschickt vermochte, etwa durch persönliche Verbindungen zu maßgeblichen politischen Verantwortlichen des Gaus Steiermark Vorteile für die Bibliothek zu erwirken. So gelang es unter anderem, den Bestand mittels „Raubbüchern” aus stiftischem Besitz fast zu verdoppeln, im Falle der Handschriften fast zu verachtfachen. Neben der „proaktiven” Erwerbungs- und der auch nach 1945 weitgehend von Konstanz geprägten Personalpolitik beleuchtet die Publikation insbesondere das Alltagsgeschehen an der Bibliothek, das von den Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges wie Bergungs- oder Luftschutzmaßnahmen und letztlich vom engagierten Einsatz der Bibliothekare und Bibliothekarinnen zur Aufrechterhaltung des Entlehnbetriebs durch alle Wirren dieser Zeit geprägt war.
Die durch „proaktive” Erwerbungspolitik vermehrten Bestände vornehmlich aus Klöstern wurden bis 1948 an die entsprechenden Institutionen restituiert, so dass zu vermuten ist, dass heute kein „Raubgut” mehr an der Landesbibliothek vorhanden ist. Um darüber mit mehr Sicherheit Auskunft geben zu können als es bisher der Fall ist, wird der in Frage kommende Bestand von etwa 120.000 Bänden aus dieser Zeit einer umfassenden Provenienzforschung zu unterziehen sein.
Die Gesamtkosten für das Forschungsprojekt (inklusive Publikation) betrugen 100.000 Euro, wovon eine Hälfte von der Landesbibliothek getragen wurde, die zweite Hälfte sich aus Förderungen durch die Historische Landeskommission für Steiermark, den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus und des Zukunftsfonds der Republik Österreich sowie Inkind-Leistungen des Ludwig Boltzmann Institutes für Kriegsfolgenforschung und der Landesbibliothek zusammensetzt.
Die Publikation ist in der Steiermärkischen Landesbibliothek und im gut sortierten Buchhandel erhältlich (Preis: 29 Euro).
STATEMENTS:
Landeshauptmann CHRISTOPHER DREXLER: „Die Geschichte der Steiermärkischen Landesbibliothek lag bis jetzt in zwei nicht sehr umfangreichen, jedenfalls nicht dem heutigen Stand der Wissenschaft entsprechenden Publikationen vor. Die Zeit des nationalsozialistischen Unrechtsregimes war damit bislang völlig unzureichend beleuchtet. Umso wichtiger war es uns, in den letzten eineinhalb Jahren die Forschungslücke des Zeitraumes von 1933 bis 1950 äußerst professionell und detailliert zu schließen. Mit diesem Werk wird somit eine Fehlstelle in der Auseinandersetzung und Aufarbeitung des NS-Unrechtsregimes geschlossen und die mahnende Erinnerung an die Verbrechen aufrecht erhalten.″
KATHARINA KOCHER-LICHEM, Direktorin der Steiermärkischen Landesbibliothek: „Seitens der Landesbibliothek war es uns wichtig, dass die Aufarbeitung dieses sehr sensiblen Zeitraums von einer renommierten externen Institution erfolgte, um eine wissenschaftlich unabhängige Sicht zu gewährleisten – Katharina Bergmann-Pfleger vom Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung hat gute zwei Jahre an diesem Projekt gearbeitet und 13.000 digitalisierte Seiten aus etlichen Quellen durchforstet. Wir sind stolz, nun für die größte Landesbibliothek Österreichs eine umfassende und detaillierte Geschichte des Hauses in der NS-Zeit vorlegen zu können.”
KATHARINA BERGMANN-PFLEGER, Autorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am LBI für Kriegsfolgenforschung in Kooperation mit der Universität Graz – Institut für Geschichte: „Die vorliegende Publikation versteht sich als ein Ergebnis dieses zwischen Anfang 2021 bis Mitte 2022 durchgeführten, am Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung angesiedelten und in Kooperation mit der Universität Graz – Institut für Geschichte, der Steiermärkischen Landesbibliothek und der Historischen Landeskommission für Steiermark durchgeführten Forschungsprojektes. Ziel der Studie war es, eine umfassende wissenschaftliche Betrachtung der Steiermärkischen Landesbibliothek für die Jahre 1938 bis 1945 vorzulegen, gleichzeitig versteht sie sich als Beitrag zur Erforschung der Geschichte österreichischer (wissenschaftlicher) Bibliotheken während der NS-Zeit sowie zur Erinnerung an das nationalsozialistische Unrecht.”
BARBARA STELZL-MARX, Leiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung, Graz – Wien – Raabs: „Wie unter einem Brennglas zeigt die Publikation die Folgen, die der Nationalsozialismus für die älteste Landesbibliothek Österreichs hatte, auf. Akribisch hat Katharina Bergmann eine Fülle an Quellenmaterialien zusammengetragen und u.a. gezeigt, wie die Landesbibliothek und ihr Personal zwischen politischer Anpassung, „Raubbuch”-Opportunismus und bibliothekarischem Engagement schwankten. Den Fördergebern ist zu danken, dass sie diese Aufarbeitung der Geschichte dieser Institution ermöglicht haben und dadurch einer aktiven Erinnerungskultur in der Steiermark – und darüber hinaus – Vorschub leisten.”
ZUR AUTORIN KATHARINA BERGMANN-PFLEGER: geb. 1981 in Graz, absolvierte ihr Magister- und Doktoratsstudium der Deutschen Philologie sowie der Medienkunde an den Universitäten Graz und Wien. Ab 2011 war sie als wissenschaftliche und Archiv-Leiterin im Wiener Compass-Verlag unter anderem für den Aufbau der preisgekrönten Online-Plattform ZEDHIA verantwortlich. Als freie Wissenschaftlerin und Wissenschaftsjournalistin, unter anderem in der Öffentlichkeitsarbeit der Universität Wien, sammelte sie umfangreiche Erfahrungen in den Forschungsfeldern österreichische Zeit-, Institutions- und Unternehmensgeschichte, Bibliotheksgeschichte 1938-1945 sowie Provenienzforschung. Seit 2017 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin (Key Researcher) am Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung, Graz – Wien – Raabs.
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