Weltdiabetestag 2024 – ÖDG fordert Refundierung spezialisierter diabetologischer Leistungen
Weltdiabetestag 2024 – ÖDG fordert Refundierung spezialisierter diabetologischer Leistungen
DIE ÖSTERREICHISCHE DIABETES GESELLSCHAFT (ÖDG) WEIST ANLÄSSLICH DES WELTDIABETESTAGES AUF DIE VERSORGUNGSSITUATION DER MENSCHEN MIT DIABETES MELLITUS TYP 2 HIN. OBWOHL IN ÖSTERREICH SEIT JAHRZEHNTEN DAS DISEASE-MANAGEMENT-PROGRAMM (DMP) „THERAPIE AKTIV“ ETABLIERT IST, ZEIGT SICH, DASS DESSEN BISHERIGES FORMAT NICHT AUSREICHT, UM DEN STEIGENDEN ANFORDERUNGEN GERECHT ZU WERDEN. ZAHLREICHE PATIENT:INNEN ERHALTEN NICHT DIE NOTWENDIGE DIABETESSCHULUNG UND ERNÄHRUNGSBERATUNG, DA DIESE EXTRAMURAL (AUSSERHALB DER SPITALSMAUERN) AKTUELL NICHT AUSREICHEND VON DEN GESUNDHEITSKASSEN REFUNDIERT WERDEN. DIE ÖDG SIEHT ES ALS UNHALTBAR AN, DASS SPEZIALISIERTE SCHULUNGSANGEBOTE, WIE SIE IM BEREICH DER DIABETOLOGIE ESSENZIELL SIND, NOCH IMMER NICHT FLÄCHENDECKEND VERFÜGBAR SIND UND RUFT ZU EINER ZUKUNFTSORIENTIERTEN WEITERENTWICKLUNG DES DMP AUF. WEITERS FORDERT SIE DIE SOFORTIGE EINFÜHRUNG EINER REFUNDIERTEN ZWEITEN VERSORGUNGSEBENE FÜR SPEZIALISIERTE DIABETOLOGISCHE LEISTUNGEN. DIES IST EINE ESSENZIELLE VORAUSSETZUNG, UM MENSCHEN MIT DIABETES MELLITUS EINE QUALITATIV HOCHWERTIGE UND UMFASSENDE VERSORGUNG ZU GEWÄHRLEISTEN.
Jedes Jahr gibt der Weltdiabetestag am 14. November einen Anlass für die ÖDG auf die Volkskrankheit aufmerksam zu machen. Diabetes mellitus ist eine der am weitesten verbreiteten chronischen Krankheiten weltweit und stellt eine immense Herausforderung für die Gesundheitssysteme dar. Schätzungen zufolge leben in Österreich derzeit etwa 800.000 Menschen mit Diabetes mellitus. Die Dunkelziffer bei Diabetes Typ 2 ist hoch, da viele Menschen unentdeckt an der Vorstufe Prädiabetes, einer Glukosestoffwechselstörung, leiden.
TENDENZ STEIGEND
Die Zahl der Diabetesdiagnosen in Österreich steigt seit Jahren an. Nach Schätzungen könnten bis zum Jahr 2030 mehr als eine Million Menschen in Österreich von der Krankheit betroffen sein. Die Behandlung von Diabetes und seinen Folgekrankheiten verursacht jährlich Kosten in Milliardenhöhe. Investitionen in eine bessere Versorgung könnten langfristig Kosten senken, indem Folgeerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Nierenversagen und Fußkomplikationen verhindert werden. Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter FASCHING, MBA, Präsident der ÖDG, erklärt: „Trotz vieler Fortschritte im Bereich der Diabetestherapie hinkt die Versorgung von Menschen mit Diabetes in Österreich den medizinisch-wissenschaftlichen Möglichkeiten hinterher. Die große Herausforderung ist, dass diese komplexe Erkrankung sowohl Gerätemedizin als auch Gesprächsmedizin erfordert. Untersuchungen und Unterweisungen brauchen Zeit – ein Aufwand, der in unserem Gesundheitsverwaltungssystem nur ungenügend darstellbar ist.“
Hofrat Dr. Thomas HOLZGRUBER, Generalsekretär und Patientenombudsmann der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien ergänzt: „Die regelmäßige Diabetesversorgung ist für Patientinnen und Patienten essenziell. Alle Wege, diese zu verbessern und neu zu gestalten, werden von mir als Patientenombudsmann (POM) der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien unterstützt.“
DAS DMP UND SEINE HERAUSFORDERUNGEN
„Therapie Aktiv – Diabetes im Griff“ ist ein Disease-Management-Programm (DMP), das vor rund 20 Jahren zur strukturierten Behandlung von Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 ins Leben gerufen wurde. Ziel war es, Patient:innen durch regelmäßige Arztbesuche, standardisierte Kontrollen und Beratungen besser zu betreuen und zu schulen. In der aktuellen Form des Programms fehlen grundlegende diätologische Schulungen und Diabetesberatungen für alle eingeschriebenen Patient:innen. Da Diabetesschulungen und Ernährungsberatungen oft zeitaufwendig sind, können sie nur durch interdisziplinäre Teams adäquat umgesetzt werden – eine Struktur, die derzeit nicht flächendeckend vorhanden ist.
Nur etwa 20-25 Prozent der Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 in Österreich nehmen am DMP „Therapie Aktiv“ teil, da die Teilnahme sowohl für Ärzt:innen als auch Patient:innen freiwillig ist und das Programm nicht attraktiv genug ist. HOLZGRUBER betont: „Die Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien fordert eine Entbürokratisierung des Disease-Management-Programms (DMP) Diabetes, damit die Akzeptanz bei Ärztinnen und Ärzten steigt. Bürokratie ist eines der größten Hindernisse für die Teilnahme der Ärztinnen und Ärzte und für eine bessere Versorgung der Patientinnen und Patienten.
Dr. Nadja SHNAWA-AMANN, von der Imed11 Gruppenpraxis für Innere Medizin arbeitet mit dem DMP in ihrer täglichen Praxis: „Diabetespatient:innen haben ein Recht auf eine fundierte Behandlung im niedergelassenen Bereich. Das DMP ‚Therapie aktiv‘ ist eine gute Möglichkeit der strukturierten Therapie und Führung von Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2, aber leider in seiner Ausführung nicht mehr zeitgemäß. Es ist ein hoher personeller Aufwand erforderlich, die Folge sind Kapazitätsprobleme und fehlende Ressourcen. Es fehlt der Anreiz und die Motivation für die Patient:innen. Ich sehe es als Fachärztin für Innere Medizin und Endokrinologie im niedergelassenen Bereich als meine Verpflichtung an, für eine adäquate Versorgung von Menschen mit Diabetes mellitus zu sorgen. Dies kann jedoch nur durch eine Verbesserung der strukturellen Rahmenbedingungen gelingen!“
„Eine individualisierte Diabetesschulung und Ernährungsberatung, die speziell auf die Bedürfnisse der Menschen mit Diabetes eingeht, ist zentral, wird jedoch extramural kaum abgegolten. Hausärzt:innen und Fachärzt:innen leisten im Alltag Herausragendes, jedoch fehlen in vielen Ordinationen die personellen und finanziellen Ressourcen, um Schulungsangebote anzubieten,“ führt FASCHING aus.
Priv.-Doz. Dr. Gersina REGA-KAUN, Erste Sekretärin der ÖDG berichtet: „Auch auf der kommenden Jahrestagung der ÖDG ist die Zusammenarbeit mit Allgemeinmediziner:innen in der Diabetesversorgung ein wichtiges Thema. In einer eigenen Session gemeinsam mit der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (ÖGAM) diskutieren wir intensiv die Möglichkeiten der Weiterentwicklung des DMP. Die Komplexität der Multimorbidität der zu behandelnden Menschen mit Diabetes muss berücksichtigt werden und die Behandlung des Diabetes mellitus darf nicht auf die Blutzuckerkontrolle reduziert werden.“
WER ZAHLT DIE ZWEITE EBENE?
„Die ÖDG sieht eine zentrale Lösung in der Schaffung einer zweiten Versorgungsebene, die spezialisierte diabetologische Leistungen kassenärztlich refundiert und auf breiter Basis verfügbar macht. Diese sollte unter anderem diätologische Beratungen, intensive Schulungen sowie komplexe Glukosemonitorings umfassen. Heute müssen sich Patient:innen immer sofort an Spezialambulanzen wenden, wenn ihre Erkrankung komplexere Untersuchungen und Beratungen erfordert. Dies führt zu längeren Wartezeiten und zu einer Überlastung der Ambulanzen und bedeutet für Menschen, die nicht in den urbanen Zentren leben, keine wohnortnahe Betreuung“, erklärt REGA-KAUN.
HOLZGRUBER betont: „Es braucht weitere ambulante Versorgungsstrukturen. Neben der Primärversorgung mit dem Disease-Management-Programm gibt es aktuell jedoch keine weitere internistische Versorgung, die von der Krankenkasse übernommen wird, da die Kassen die dafür notwendigen Leistungen nicht im Katalog aufgenommen haben.“
„Die Etablierung einer refundierten zweiten Versorgungsebene ist unerlässlich, um Menschen mit Diabetes mellitus umfassend versorgen zu können“, so FASCHING. „Aktuell werden spezialisierte Leistungen entweder privatmedizinisch angeboten oder durch Quersubventionierungen in Facharztpraxen abgedeckt, was keine langfristige Lösung darstellt.“
Als niedergelassene Internistin steht SHNAWA-AMANN täglich vor diesen Problemen: „Im Rahmen meiner fast 30-jährigen ärztlichen Betreuung von Menschen mit Diabetes kann ich bestätigen, dass eine verantwortungsvolle Diabetesbetreuung eine fachliche Kompetenz einerseits aber auch Zeit benötigt. Patient:innen müssen geschult und aufgeklärt werden, um die notwendige Selbstverantwortung in der Therapie ihrer Erkrankung übernehmen zu können und um Spätkomplikationen zu verhindern. Ärztliche Leistungen wie das diagnostisch-therapeutische Gespräch, Einstellung auf eine Insulintherapie, sowie die Etablierung von CGM Systemen, Besprechung von Blutzuckerkurven, Anpassungen der Therapie sind derzeit im Leistungskatalog der zur Verrechnung stehenden ärztlichen Tätigkeiten nicht abgebildet und sind im Sinne der adäquaten Diabetes-Betreuung unbedingt zu fordern. Auch die Möglichkeit der Anstellung von Fachärzt:innen für Endokrinologie in spezialisierten Gruppenpraxen zur Verbesserung der Diabetesversorgung sollte ohne massiven organisatorischen Aufwand ermöglicht werden.“
„Besonders in Hinblick auf die Herausforderungen des Diabetes-Managements und die steigende Nachfrage nach individualisierter Therapie und innovativen Technologien, ist die Einführung einer zweiten Versorgungsebene dringend notwendig. Eine koordinierte Zusammenarbeit zwischen dem Gesundheitsministerium, der Österreichischen Gesundheitskasse und weiteren relevanten Institutionen ist unerlässlich, um Menschen mit Diabetes eine flächendeckende und hochwertige Betreuung zu sichern“, betont Priv.-Doz. Dr. Gersina REGA-KAUN, Erste Sekretärin der ÖDG.
SCHWERPUNKTPRAXEN IN WIEN
HOLZGRUBER berichtet von den Schritten, die in Wien bereits gesetzt wurden, um Schwerpunktpraxen als zweite Ebene zu etablieren: „Die verbesserte ambulante Diabetesversorgung abseits von Spitalsambulanzen wird von der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien klar befürwortet. Die Diabeteszentren der Stadt Wien werden natürlich zur Verbesserung der Versorgung beitragen, reichen aber bei Weitem noch nicht aus.“ Um die Versorgung von Diabetes-Patientinnen und -Patienten zu verbessern, fordert die Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien die Etablierung von Schwerpunktpraxen mit der Möglichkeit, dort Spezialleistungen zur Diabetesversorgung in der zweiten Versorgungsstufe anzubieten. Diese könnten bestehenden internistischen Gruppenpraxen in Wien angegliedert werden, wodurch Kosten für den Aufbau und die Organisation neuer Strukturen gespart werden. In Wien könnten schnell solche spezialisierten Gruppenpraxen entstehen.
„Die Konzepte der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien sind fertig und wurden bereits dem Stadtrat und der Sozialversicherung vorgestellt. Es soll jetzt Verhandlungen mit den Sozialversicherungen und der Stadt geben, um diese Versorgungsstruktur im Kassenarztbereich zu etablieren. Im besten Fall könnten die ersten Praxen bereits im ersten Halbjahr 2025 eröffnet werden“, erläutert HOLZGRUBER und führt weiter aus: „Die Spitalsträger müssen zudem zustimmen, dass Ärztinnen und Ärzte sowie andere Gesundheitsberufe neben der Spitalstätigkeit künftig auch in diesen Praxen mitarbeiten dürfen und umgekehrt. Hier sind wir auf einem guten Weg, das bis Jahresende zu ermöglichen. Das bringt für Patientinnen und Patienten zudem den Vorteil, von derselben Person im Spital und auch außerhalb behandelt zu werden.“
ÖDG VORSCHLÄGE ZUR WEITERENTWICKLUNG DER DIABETESVERSORGUNG IN ÖSTERREICH:
1.) SCHAFFUNG EINER REFUNDIERTEN ZWEITEN VERSORGUNGSEBENE:
Diese soll auf spezialisierte diabetologische Leistungen fokussiert sein und durch kassenärztliche Abdeckung gesichert werden.
2.) VERKNÜPFUNG VON PRIMÄRVERSORGUNG UND DIGITALISIERUNG:
Die neue Initiative des Gesundheitsministeriums zur digitalen Ersterfassung von Diagnosen soll strukturiert mit dem DMP „Therapie Aktiv“ vernetzt werden, um durchgehende Versorgungspfade zu schaffen und die Patient:innen zu stärken.
3.) VERBESSERUNG DER INFRASTRUKTUR:
Ausbau interdisziplinärer Teams in niedergelassenen Praxen, die spezialisierte Diabetesschulungen, Ernährungsberatungen und technische Therapien wie Glukosemonitoring übernehmen können.
4.) ÖSTERREICHWEITE SENSIBILISIERUNG UND AUFKLÄRUNG:
Erhöhung der Bekanntheit des DMP „Therapie Aktiv“ und Erleichterung der Einschreibung für Ärzt:innen und Patient:innen durch verbesserte Information und Anreizsysteme.
REGA-KAUN berichtet vom Engagement der medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaften für diese Ziele: „Die ÖDG nimmt laufend gemeinsam mit der ÖGAM und der ÖGN (Österreichische Gesellschaft für Nephrologie) an Terminen im Gesundheitsministerium teil und verfasst Stellungnahmen, um im Interesse der Menschen mit Diabetes optimale Versorgungspfade zu definieren. Dabei wird besonders die Notwendigkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit aller ärztlichen und nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe betont, um die optimale Versorgung sicher zu stellen.“
„Unsere Gesellschaft erlebt in der Behandlung chronischer Krankheiten wie Diabetes eine Jahrhundertchance: Eine umfassende und zukunftsfitte Versorgungsstruktur in den niedergelassenen Bereich zu bringen – das geht nur durch ein geeintes Vorgehen aller Verantwortungsträger:innen im Gesundheitswesen,“ schließt FASCHING.
ÜBER DIE ÖSTERREICHISCHE DIABETES GESELLSCHAFT (ÖDG)
Die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG) ist die ärztlich-wissenschaftliche Fachgesellschaft der österreichischen Diabetes-Experten:innen. Ordentliche Mitglieder der Gesellschaft sind Ärzt:innen und wissenschaftlich einschlägig orientierte Akademiker:innen. Assoziierte Mitglieder sind Diabetesberater:innen und Diätolog:innen. Die Österreichische Diabetes Gesellschaft sieht es als ihre Aufgabe, die Gesundheit und Lebensqualität von Menschen mit Diabetes mellitus zu verbessern. Sie setzt sich daher für die Anliegen der Betroffenen ein. Sie fordert und fördert die stetige Verbesserung der Versorgung von Menschen mit Diabetes mellitus. Sie unterstützt die Forschung und verbreitet wissenschaftliche Erkenntnisse aller den Diabetes berührenden Fachgebiete sowohl zur Verbesserung der medizinischen Betreuung als auch zur bestmöglichen Vorbeugung von Neuerkrankungen.
Public Health PR
Mag. Michael Leitner
Telefon: 01 60 20 530
E-Mail: michael.leitner@publichealth.at
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