Konferenz des Nationalfonds im Parlament: Neue Wege in der Erinnerungskultur beschreiten

Konferenz des Nationalfonds im Parlament: Neue Wege in der Erinnerungskultur beschreiten

Podiumsdiskussion und Gespräch mit jungen Gedenkdienstleistenden

Im zweiten Teil der Konferenz des Nationalfonds im Parlament zum Thema „Erinnerung und Verantwortung“ stand vor allem die Frage im Mittelpunkt, wie das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in Österreich in Zukunft gestaltet werden könne. An der von Hanna Lessing (Vorständin des Nationalfonds) moderierten Podiumsdiskussion nahmen der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Oskar Deutsch, die Direktorin der KZ-Gedenkstätte Barbara Glück, Andreas Kranebitter vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Parlamentsvizedirektorin Susanne Janistyn-Novák und Moritz Wein vom Wissenschaftsministerium teil. Im Vorfeld der konstituierenden Sitzung sprachen sich sowohl Deutsch als auch Kranebitter gegen die Wahl eines freiheitlichen Politikers zum Präsidenten des Nationalrats aus.

Spannende Einblicke in den Alltag von Gedenkdienstleistenden gaben Philipp Auberger, Tabea Chaharlangi und Moritz Gemel, die teils sehr persönliche Gründe für ihr Engagement anführten. Im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahres haben sie sich an verschiedenen Orten in der Welt mit der Geschichte des Nationalsozialismus und den Folgen von Verfolgung und Diskriminierung auseinandergesetzt.

DEUTSCH APPELLIERT AN DIE 183 ABGEORDNETEN, DIE „RICHTIGE ENTSCHEIDUNG“ ZU TREFFEN

Der Nationalfonds hätte sofort nach dem Krieg im Jahr 1945 gegründet werden sollen, meinte Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) in Wien. Österreich habe jedoch anfangs viel versäumt und erst nach den „berühmten Reden von Bundeskanzler Vranitzky“, der auch auf die Täterrolle von Österreich hingewiesen hat, wurden die Grundlagen für die Einrichtung des Nationalfonds gelegt. Dies sei eine wichtige Geste gewesen, urteilte er, aber keine Wiedergutmachung; denn diese könne es gar nicht geben. Seit dem 7. Oktober 2023 müsse sich die IKG nicht nur mit der Vergangenheit, sondern vor allem mit der Gegenwart befassen, berichtete Deutsch. Der Antisemitismus komme von drei Seiten, von rechts, von links und aus dem islamischen Bereich. Er sehe daher die Zivilgesellschaft gefordert, überall – vom Gasthaus bis zum Fußballplatz – gegen antisemitische Tendenzen aufzustehen. Gleichzeitig könne es aber auch nicht sein, dass der „zweite Mann im Staat“ von einer „rechtsradikalen Partei“ komme, unterstrich er, denn dies wäre eine „Verhöhnung der Opfer“. Er appellierte daher an alle Abgeordneten, die „richtige Entscheidung“ zu treffen.

Andreas Kranebitter vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes wies auf ein Auseinanderdriften einer immer spezialisierter werdenden Forschung und ein immer geringer werdendes Wissen über den Nationalsozialismus in der Bevölkerung hin. Vor allem angesichts der Tatsache, dass sich bei Umfragen 42 % der Personen für einen „Schlussstrich“ unter die Diskussion über den Holocaust aussprechen würden, müsse der Brückenschlag zur Gesellschaft besser geschafft werden. Er mahnte zudem die Verantwortung der Institutionen wie etwa der Ministerien ein, die ihre Geschichte aufarbeiten müssten. Außerdem sollte das Augenmerk auf alle Opfergruppen gelegt werden.

Ebenso wie Deutsch zeigte sich Kranebitter besorgt über die mögliche Wahl eines Kandidaten der FPÖ für das Amt des Nationalratspräsidenten, der damit gleichzeitig Vorsitzender des Nationalfonds wäre. Sollte es dazu kommen, werde „er hier nicht mehr sitzen“, kündigte er an. Es wäre aus seiner Sicht eine „Heuchelei“ mit Menschen zu sprechen, die von „Globalisten reden, die die Welt beherrschen“. Verantwortung übernehmen heiße nämlich auch, gegen manche Usancen aufzutreten.

ERINNERUNGSKULTUR AUF NEUE BEINE STELLEN

Man dürfe nicht vergessen, dass es den Überlebenden des NS-Regimes zu verdanken sei, dass es heute Orte des Gedenkens gebe, zeigte die Direktorin der KZ-Gedenkstätte Mauthausen Barbara Glück auf. Um möglichst viele Menschen zu erreichen, sei es notwendig, aus den eigenen „Blasen“ herauszugehen und sich noch stärker zu vernetzen. Obwohl sie anfangs skeptisch gegenüber einem Tik-Tok-Auftritt gewesen sei, sei sie nun überzeugt davon, dass auch soziale Medien stärker genutzt werden sollten. So seien etwa manche Videos bis zu einer Million Mal angeklickt worden, berichtete die Direktorin der KZ-Gedenkstätte.

Sie sei von Beginn an Mitglied des Komitees des Nationalfonds und habe vor allem die Kontaktaufnahme mit Holocaust-Überlebenden aus 40 Ländern als besonders wertvoll und berührend empfunden, erklärte Parlamentsvizedirektorin Susanne Janistyn-Novák. Die individuellen Lebensgeschichten müssten noch weiter erforscht und erzählt werden, weil es ihrer Meinung nach darum gehe, die entsprechenden Konsequenzen daraus zu ziehen.

Moritz Wein, zuständig für Holocaust-Education im Wissenschaftsministerium, hob die wichtige Arbeit der Zeitzeug:innen hervor. Derzeit seien noch 14 Personen aktiv, die mit ihren Besuchen in Bildungseinrichtungen über 8.000 Schüler:innen pro Jahr erreichen würden. Das Ministerium engagiere sich seit über 25 Jahren im Bereich Erinnerungskultur und habe dabei eine hohe Expertise aufgebaut, die mittlerweile als Best-Practice-Beispiel bezeichnet werden könne.

GESPRÄCH MIT GEDENKDIENSTLEISTENDEN ÜBER IHRE PERSÖNLICHEN ERFAHRUNGEN

Er sei noch ein kleines Kind gewesen, als er das erste Mal auf einem Spaziergang mit seinen Großeltern das ehemalige KZ Mauthausen gesehen habe, berichtete Philipp Auberger. Seit diesem einschneidenden Erlebnis habe er viel über den Holocaust gelesen und sich dann später dafür entschieden, einen Gedenkdienst in der Azrieli Foundation in Toronto zu leisten. Da es bedauerlicherweise immer weniger Zeitzeug:innen gebe, sei es aus seiner Sicht wichtig, die Biographien der Holocaust-Opfer mit neuen Methoden zu vermitteln. Als Beispiel führte er ein Projekt aus Montreal an, wo Jugendliche mittels der KI Fragen an Personen in Hologramm-Form stellen können.

Auch Tabea Chaharlangi, die für ihren Gedenkdienst unter anderem in Yad Vashem in Jerusalem war, führte ihr Engagement auf Erlebnisse in ihrer Jugend zurück. Sehr berührt habe sie etwa eine Reise nach Israel gemeinsam mit einem Kinderchor, wo Holocaust-Überlebenden Wiener Lieder vorgesungen wurden. Im Publikum seien Menschen gesessen, die im selben Alter, als sie damals war, aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Er habe von dem Gedenkdienst im „Holocaust and Genocide Center“ Kapstadt persönlich so viel profitiert, dass er allen Jugendlichen nur raten könne, es ihm gleich zu tun, schloss sich Moritz Gemel den positiven Erfahrungsberichten der beiden anderen Gedenkdienstleistenden an. (Schluss) sue

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung sowie eine Nachschau auf vergangene Veranstaltungen finden Sie im Webportal des Parlaments.

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