Verfassungsausschuss: Hearing zu „COVID-Strafen-Rückzahlungsvolksbegehren“

Verfassungsausschuss: Hearing zu „COVID-Strafen-Rückzahlungsvolksbegehren“

Großteil der Expert:innen mit Bedenken zu Rückabwicklungsforderung

Ein Hearing hielt der Verfassungsausschuss heute zu einem von Robert Marschall initiierten Volksbegehren ab, das die Rückzahlung sämtlicher Corona-Strafen fordert. Nach Ansicht der 101.652 Unterzeichner:innen hätten die Behörden „zigtausende“ Strafen zu Unrecht verhängt. Zurückgezahlt bzw. erlassen habe man aber nur diejenigen, die von den Betroffenen erfolgreich angefochten wurden.

In der Begründung des Volksbegehrens (2408 d.B.) äußern die Initiator:innen etwa auch massive Zweifel an der Gefährlichkeit des Coronavirus. COVID-19 sei „manchmal nur eine Grippekrankheit“ oder verlaufe gar ohne Symptome und sei mit einer Mortalitätsrate von 0,3 % „eigentlich unerheblich“, argumentieren sie. In diesem Sinn habe die Politik in ihren Augen zu Unrecht „Angst und Schrecken verbreitet“, mit massiven negativen Folgen für die Bevölkerung. Auch von einem möglichen „Korruptionskarussell“ und Richterwillkür ist im Volksbegehren die Rede.

Als Bevollmächtigter unterstrich Marschall im Ausschuss, dass die gesetzlichen Corona-Maßnahmen kontraproduktiv oder sinnlos gewesen seien. Darüber hinaus sollte aus seiner Sicht untersucht werden, wie viele Menschen an falschen Maßnahmen wie insbesondere der „Zwangsimpfung“ verstorben seien. Eine Rückzahlung der Strafen sei aus seiner Sicht möglich, zumal beispielsweise Slowenien eine solche bereits umgesetzt und alle Corona-Strafen zurückbezahlt habe. Auch in Niederösterreich sei eine Rückzahlung bereits teilweise erfolgt.

ANALYSEN DER EXPERT:INNEN ZU ETWAIGER RÜCKABWICKLUNG

Die geladenen Expert:innen äußerten in ihren Analysen großteils Bedenken zu einer etwaigen Rückabwicklung. Ein Experte sprach sich demgegenüber klar für eine Amnestie aus.

Aus Sicht von Albert Posch, Leiter des Verfassungsdiensts im Bundeskanzleramt, sei es verfassungsrechtlich nicht geboten, die Strafen rückabzuwickeln. Denn Aufhebungen von gesetzlichen Bestimmungen hätten auf frühere rechtskräftige Entscheidungen keinen Einfluss, hielt er fest. Außerdem habe in zahlreichen Gesetzesprüfungsverfahren zur Corona-Pandemie der Verfassungsgerichtshof lediglich in einem Fall Bestimmungen aufgehoben, so Posch. Hinsichtlich einer gesetzlichen Regelung für eine etwaige Rückabwicklung der Strafen würde eine solche stark von der Ausgestaltung abhängen, es gebe aus seiner Sicht aber jedenfalls verfassungsrechtliche Bedenken.

Ähnlich wie Posch beurteilt das Thema Waltraud Bauer-Dorner, Leiterin des Verfassungsdiensts vom Amt der Steiermärkischen Landesregierung, die vor den rechtlichen Folgen einer speziellen neuen gesetzlichen Grundlage für eine Rückabwicklung warnte. Deren Ausgestaltung würde eine wesentliche Rolle spielen und hätte zudem eine Folgewirkung auf viele andere Gesetzesbereiche. Ebenso wie Posch wies sie auf das „Institut der Rechtskraft“ hin, wonach jene Strafen, die rechtskräftig abgeschlossen worden seien, nicht mehr rückabgewickelt werden könnten. Aus ihrer Sicht habe – etwa was den Rechtsschutz betreffe – der Rechtsstaat in der Pandemie sehr gut funktioniert.

Aus Sicht des Rechtswissenschafters Karl Stöger habe der Verfassungsgerichtshof keine derart schwerwiegenden Situationen gesehen, dass er eine Amnestie rückwirkend angeordnet hätte. Wenn man eine neue Verfassungsbestimmung zur Rückabwicklung in Erwägung ziehe, würde man damit Signale aussenden, die es sehr genau abzuwägen gelte.

Rechtsanwalt Alexander Scheer stimmte dem Befund nicht zu, dass der Rechtsschutz funktioniert habe. Vielmehr habe die Politik in der Corona-Zeit nicht aufgeklärt, sondern Angst gemacht. Das habe Leute, die sonst nie straffällig würden, dazu veranlasst, gegen das Gesetz zu verstoßen. Er denke, dass eine Amnestie gesetzlich möglich und notwendig sei, zumal Politiker:innen die Verpflichtung hätten, die Spaltung in der Gesellschaft wieder zu beseitigen.

DEBATTE ÜBER CORONA-MASSNAHMEN UND STRAFEN

Alle Strafen zurückzuzahlen halte er für schwierig, meinte Nikolaus Scherak (NEOS). Was konkret den ersten Lockdown und die betreffenden Strafen aufgrund der gravierenden Einschränkungen durch die Betretungsverbote betreffe, teile er aber die Forderung. Die NEOS würden sich hier für eine Generalamnestie betreffend die verfassungswidrigen Verbote einsetzen. Im Hinblick auf den angesprochenen Rechtsschutz war aus seiner Sicht die Einschüchterung der Bevölkerung teils massiv und es sei zu „absurd vielen“ Strafen gekommen.

Susanne Fürst (FPÖ) zeigte sich überzeugt, dass es rechtskonforme Möglichkeiten gebe, die Strafen zurückzuzahlen. Das sei als Teil der Wiedergutmachung für den Schaden, den die Politik „angerichtet“ habe, auch politisch geboten. Fürst sprach von einem „unrühmlichen Kapitel“, in dem Maßnahmen wie Lockdowns nicht auf wissenschaftlicher Evidenz beruht hätten, sondern „ausprobiert“ worden seien. Zudem habe es dezidiert Wünsche der Politik an die Wissenschaft gegeben.  

Österreich sei ein Rechtsstaat und Strafen würden von Gerichten geprüft, hielt Romana Deckenbacher (ÖVP) fest. Die Corona-Pandemie sei eine der größten Bewährungsphasen der Zweiten Republik gewesen. Mit damaligem Wissensstand seien alle Maßnahmen richtig gewesen, auch wenn man mit heutigem Wissen manches anders sehen würde. Die Zahlen würden zeigen, dass es weltweit über 700 Millionen Tote gegeben habe, so Deckenbacher. Das Ziel, Menschenleben zu schützen, könne niemand zum Vorwurf machen.

Aus Sicht von Alois Stöger (SPÖ) habe der Verfassungsgerichtshof bzw. der Rechtsschutz in Österreich gute Arbeit geleistet. Wenn man sich frage, wie man mit bezahlten Strafen umgehe, sei es ebenso der Rechtsschutz in Österreich, mit dem man sich gegen diese Strafen wehren könne. Immer wieder kritisiert habe die SPÖ die Schulschließungen, die ein „Systemfehler“ gewesen seien. Was das Volksbegehren betreffe, könne er manche Dinge „nicht unterschreiben“, so Stöger.

Für Agnes Sirkka Prammer (Grüne) widerspricht die Forderung nach Rückzahlung aller Strafen dem Grundwesen des Staates. Ernstzunehmen gelte es aber, dass sich in dieser Zeit Menschen durch Maßnahmen des Gesetzgebers und der Verwaltung in ausweglose Situationen gebracht fühlten. Der Rechtsstaat habe gut funktioniert, und es sei damals wichtig gewesen, schnell das Richtige zu tun. Wichtig sei aber auch, begreiflich zu machen, wofür welche Regelung notwendig sei. (Schluss Verfassungsausschuss) mbu

HINWEIS: Das öffentliche Hearing konnte auch via Livestream mitverfolgt werden und ist als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.

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