Budgethearing: Expert:innen analysieren Prioritätensetzung im aktuellen Haushaltsentwurf
Budgethearing: Expert:innen analysieren Prioritätensetzung im aktuellen Haushaltsentwurf
Fraktionen nehmen erste Einschätzungen des Budgets 2024 vor und orten unterschiedlichen Handlungsbedarf
Im zweiten Teil des vierstündigen Hearings im heutigen Budgetausschuss standen die politischen Bewertungen des Haushaltsentwurfs durch die einzelnen Parlamentsfraktionen sowie die teils sehr detaillierten Fragen der Abgeordneten im Mittelpunkt. Während die Vertreter:innen der ÖVP die positive Entwicklung der Realeinkommen als Erfolgsnachweis für die bisherige Budgetpolitik einstuften, hoben die Abgeordneten der Grünen die Steigerung der Mittel in den Bereichen Klimaschutz und Arbeitsmarktpolitik hervor. Die SPÖ plädierte einmal mehr für die Einführung von Vermögens- und Erbschaftssteuern. Die Freiheitlichen forderten eine nachhaltige Finanzpolitik ein und stellten die Krisenresilienz des Haushalts in Frage. Die NEOS wiederum beklagten den „Rekordstand“ bei den Schulden und drängten auf die Umsetzung von „echten Strukturreformen“.
Nach dem Hearing mit Fiskalrats-Chef Christoph Badelt, Monika Köppl-Turyna von EcoAustria, Markus Marterbauer (Arbeiterkammer Wien), WIFO-Expertin Margit Schratzenstaller-Altzinger und Martin Gundinger (Austrian Economics Center) wurden die Beratungen über das Bundesfinanzgesetz 2024 (2178 d.B.) und das Bundesfinanzrahmengesetz (2179 d.B.) einstimmig vertagt, um nächste Woche wieder fortgesetzt zu werden.
ÖVP: EINKOMMENSVERLUSTE DURCH HOHE INFLATION WURDEN DURCH FÖRDERMASSNAHMEN MEHR ALS AUSGEGLICHEN
Für Abgeordneten Andreas Hanger (ÖVP) war die positive Entwicklung der Realeinkommen ein Beleg dafür, dass die Förderungsmaßnahmen der Regierung angesichts der steigenden Inflationsraten erfolgreich waren. Eine aktuelle Studie zum Thema Umverteilung zeige zudem, dass nur 20 % der Steuerpflichtigen Nettozahler:innen sind.
Es sei richtig, dass die unteren Dezile auf der Einkommensskala durch die diversen Maßnahmen der öffentlichen Hand relativ stärker gefördert wurden als die oberen Dezile, konstatierte Christoph Badelt. Dennoch gebe es eine wachsende Zahl von Menschen, die sich trotz der Unterstützungen immer noch in schwierigen Lebenslagen befinden würden. Diese Gruppe müsste man durch eine vernünftige Sozialhilfe erreichen. Bei der aktuellen Armutsdebatte würden jedoch relativ viele Dinge – Stichwort „300.000 hungernde Kinder“ – vermischt und falsch dargestellt. Im internationalen Vergleich liege Österreich bezüglich der Kennzahlen zur Armutsgefährdung nicht schlecht und schneide etwas besser als der EU-Durchschnitt ab, erläuterte er. 2022 war jedoch ein leichter Anstieg zu verzeichnen. Laut der neuen WIFO-Umverteilungsstudie, die nahezu vollständig auch die großen Sachleistungen einbeziehe, gebe es in Österreich eine „große, breite Mitte“, die im Durchschnitt ungefähr so viel einbezahle wie sie herausbekomme, führte Badelt weiter aus. Wesentlich sei auch, dass diejenigen, die relativ gut verdienen, sich mit dem Sozialstaat identifizieren können. Am Arbeitsmarkt sei eine erfreuliche Entwicklung feststellbar, weil sich die „konjunkturelle Delle“ nur ganz gering durchschlage, stellte der Präsident des Fiskalrats gegenüber Angela Baumgartner (ÖVP) fest.
GRÜNE HEBEN STEIGERUNG DER MITTEL BEIM KLIMASCHUTZ UND DER ARBEITSMARKTPOLITIK HERVOR
Abgeordneter Jakob Schwarz (Grüne) sprach insbesondere die Maßnahmen zum Klimaschutz an und interessierte sich auch für die Einschätzung der Expert:innen zu den Anti-Teuerungsmaßnahmen der Bundesregierung. Nachdem im nächsten Jahr ein deutlicher Anstieg im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu verzeichnen sei, wollte Markus Koza von den Grünen wissen, wie diese Mittel am besten eingesetzt werden sollten. Mit der Ausgestaltung des Zukunftsfonds befasste sich Bundesrätin Elisabeth Kittl (Grüne) .
Klima- und Umweltschutz sei ein bedeutender Schwerpunkt im Budget, bekräftigte Margit Schratzenstaller-Altzinger, es finde sich ein breiter Maßnahmenmix darin. Kritisch nahm sie ökologisch kontraproduktive Subventionen ins Visier, beispielsweise die Anhebung des Pendlerpauschales. Angesichts von Alterung und Klimaschutzherausforderungen brauche es eine Reform des Finanzausgleichs-Föderalismus durch eine Neujustierung der Aufgaben, sagte Schratzenstaller-Altzinger zu Elisabeth Götze (Grüne). Notwendig ist aus ihrer Sicht eine gesamtstaatliche Förderstrategie bei Umwelt, Familien und Wirtschaft. Zudem sprach sich die Expertin für eine Abgabenstrukturreform aus, um dem bestehenden Ungleichgewicht entgegenzuwirken. Demnach sei das Abgabensystem ökologisch nachhaltiger zu gestalten. Weiters war sie der Auffassung, dass das Instrument des Gender Budgeting nur unzureichend genutzt werde; es fehle auch eine übergeordnete Gleichstellungsstrategie.
Christoph Badelt nahm zum Finanzausgleich Stellung und meinte, es sei eine gute Idee, Zuweisungen an die Länder im Rahmen des Zukunftsfonds mit Zielen zu verbinden.
In der Arbeitsmarktpolitik plädierte Markus Marterbauer für eine noch stärkere Orientierung hin zu den besonderen Problemgruppen sowie hin zu einer besseren Förderung von Fachkräften. Es gebe derzeit allein 500.000 bis 600.000 Menschen im Niedriglohnsektor, denen man eine gute Beschäftigung ermöglichen könnte. Es sei erfreulich, dass im aktuellen Arbeitsmarktbudget in einigen Bereichen erhebliche Fortschritte zu erkennen seien.
SPÖ KRITISIERT MITTELFRISTIGE BUDGETPLANUNG UND DRÄNGT AUF EINFÜHRUNG VON ERBSCHAFTS- UND VERMÖGENSSTEUERN
Es sei sehr bedenklich, wenn alle Expert:innen zu der Auffassung kommen, dass die mittelfristige Budgetplanung zu einem „katastrophalen Zustand“ führen werde, zeigte sich Christoph Matznetter (SPÖ) besorgt. Gerade vor diesem Hintergrund sei es mehr als legitim, sich zu überlegen, wie mehr Staatseinnahmen lukriert werden können. SPÖ-Finanzsprecher Kai Jan Krainer verwies dabei einmal mehr auf die Einführung von Erbschafts- und Vermögenssteuern, da deren Einnahmepotentiale nicht genutzt würden.
Der Zustand der österreichischen Volkswirtschaft werde anhand von 30 Wohlstandsindikatoren gemessen, informierte Marterbauer den Abgeordneten Kai Jan Krainer (SPÖ). Analysen würden durchgehend Rückschritte beim Wohlstand feststellen, wobei das Niveau weiterhin sehr hoch sei. Als Grund für schlechtere Wohlstandsindikatoren nannte Marterbauer die hohe Inflation. „Inflation ist Umverteilung nach oben“, bekräftigte er gegenüber Krainer, der eine „Schieflage im Steuersystem“ ortete. Was die potentiellen Einnahmen durch Erbschafts- und Vermögenssteuern angeht, so würde der Ertrag bei mindestens fünf Milliarden Euro jährlich liegen, rechnete er vor. Auch wenn Steuerflucht im Zusammenhang mit Vermögenssteuern ein relevantes Thema sei, räumte Markus Marterbauer ein, gebe es eine Reihe von Instrumenten, um diese hintanzuhalten. Neben der Umsetzung von strukturellen Reformen könnten seiner Meinung nach die zusätzlichen – aus demographischen Gründen entstehenden – Ausgaben vor allem durch eine stärkere Bekämpfung der Steuerhinterziehung sowie eine progressive Erbschafts- und Vermögensbesteuerung finanziert werden.
Im Bereich der Wirkungsorientierung will Finanzminister Magnus Brunner auf Zukunftsinvestitionen setzen. Beim Finanzausgleich werde es Ziele brauchen, bestätigte Brunner die Forderung der Expert:innen. Dabei handle es sich um einen Paradigmenwechsel, unterstrich er. Auf Basis der Antworten von Brunner sah SPÖ-Mandatar Krainer die Umsetzung der Wirkungsorientierung als mangelhaft an.
FPÖ VERMISST NACHHALTIGE SCHULDENPOLITIK UND STELLT KRISENRESILIENZ DES BUDGETS IN FRAGE
Abgeordneter Hubert Fuchs (FPÖ) stimmte mit Christoph Badelt darin überein, dass das aktuelle Budget nicht sehr ambitioniert sei und dass vor allem im Hinblick auf die mittelfristige Schuldenentwicklung nicht ausreichend gegengesteuert werde. Er frage sich auch, ob die gesetzlich verankerte Schuldenbremse überhaupt noch eine Rolle spiele. Eine nachhaltige Budgetpolitik sei aber auch Voraussetzung dafür, um sich etwa die von der Regierung ausgerufene Energiewende leisten zu können. Kritisch beurteilte er, dass die kalte Progression nicht gänzlich abgeschafft worden sei. Seine Fraktionskollegen Hermann Brückl und Maximilian Linder gingen näher auf die Schwerpunktsetzungen im Bildungssektor bzw. auf die Entwicklung der Energiepreise ein.
Der Fiskalrat sei mit der prognostizierten Schuldenquote nicht zufrieden, bestätigte Christoph Badelt gegenüber den freiheitlichen Fragestellern. Sollte die gegenwärtige internationale Rechtslage weiter bestehen bleiben, dann würde sie auch nicht den Vorgaben entsprechen. Es sei generell problematisch, wenn den gewünschten Maßnahmen auf der Einnahmenseite (z.B. Abschaffung der kalten Progression oder Steuerentlastungen) keine Gegenfinanzierung auf der Ausgabenseite gegenüberstehe. Dies könne auf Dauer nicht so gehen und werde die Budgeterstellung in den nächsten Jahren wesentlich erschweren, prognostizierte er. Was die von der FPÖ angesprochene CO2-Besteuerung betrifft, so sei dies aus seiner Sicht ein ganz wesentliches Instrument, um langfristig positive umweltpolitische Effekte zu erzielen. Badelt hielt auch die Besteuerung von Vermögenszuwächsen, wie z.B. im Fall von Erbschaften und Schenkungen, aus systemischen Gründen für sinnvoll, allerdings müsse man Augenmaß anwenden, wenn es um Unternehmensweitergaben gehe. Kritischer beurteilte er hingegen Vermögensbestandssteuern, aber mit der Einschränkung, dass man bei der Grundsteuer „trotzdem etwas machen sollte“.
Margit Schratzensteller-Altzinger schloss sich der Analyse von Badelt bezüglich der Schuldenentwicklung an. Damit sei man nicht gut für zukünftige Krisen und budgetäre Risiken gerüstet, die sich etwa durch den Klimawandel ergeben könnten. Sie bedauerte, dass die Mengensteuern im Umweltbereich überhaupt nicht angegriffen werden. Außerdem brauche es eine Ökologisierung des „Dienstwagen-Privilegs“ und der Pendlerförderung. Man müsse zudem den motorisierten Individualverkehr, auch wenn er elektrifiziert werde, weiter besteuern, urteilte die WIFO-Expertin. Neben der CO2-Bepreisung gebe es noch eine ganze Reihe von weiteren möglichen Ansatzpunkten.
Martin Gundinger bezeichnete die Schuldenentwicklung vor allem vor dem Hintergrund, dass Österreich bei den Zukunftstechnologien schlecht aufgestellt sei, als sehr problematisch. Da die Ausgaben höher als im europäischen Durchschnitt lagen, wurde auch die Inflationsrate zusätzlich in die Höhe getrieben. Um den Wirtschaftsstandort attraktiver zu gestalten, brauche es aus seiner Sicht mehr Entbürokratisierung und Deregulierung. Derartige Maßnahmen hätten auch den Vorteil, dass sie das Budget nicht zusätzlich belasten würden. Das Prinzip der Nachhaltigkeit vermisse er auch im Pensionsbereich, erklärte Gundinger. Sein Vorschlag wäre, dass ab dem Erreichen des gesetzlichen Pensionsalters alle staatlichen Abgaben abgeschafft werden. Dies würde bedeuten, dass ein Nettoeinkommen von derzeit rund 2.500 € auf 4.700 € steigen würde.
NEOS SORGEN SICH UM DIE AUSGABENDYNAMIK UND FORDERN ERNEUT STRUKTURELLE REFORMEN EIN
Es fördere nicht gerade das Vertrauen in die Politik der Regierung, wenn sich die Budgetdefizite mittelfristig auf dem Niveau der Corona-Krisenjahre einpendeln, führte Abgeordnete Karin Doppelbauer (NEOS) ins Treffen. Kritisch stufte sie auch den neuen „Rekordstand“ bei den Schulden ein, die sich bis 2027 auf 435 Mrd. € belaufen werden. Während sich der Finanzminister auf EU-Ebene immer dafür einsetze, zu einem vernünftigen Budgetpfad zurückzukehren, mache er in Österreich offensichtlich das Gegenteil, resümierte Doppelbauer. Ihr Fraktionskollege Gerald Loacker (NEOS) ging insbesondere auf die stark steigenden Ausgaben für den Pensionsbereich ein, die durch zusätzliche Maßnahmen (z.B. Frühstarterbonus, Extra-Erhöhung im ersten Pensionsjahr und Aufwertung der Pensionskonten) noch befeuert wurden.
Monika Köppl-Turyna wiederholte ihre Einschätzung, wonach die Ausgabendynamik primär die strukturellen Probleme widerspiegle. Dies betreffe insbesondere die Bereiche Pensionen, Zinsen oder Förderungen. Es würden somit weder die nationalen noch die internationalen Defizit- und Schuldenregelungen eingehalten. Aus ihrer Sicht fehle vor allem eine sinnvolle und – am besten – automatische Ausgabenbremse. Angesichts der demographischen Herausforderungen reiche es nicht, ausgeglichene Budgets anzupeilen, es müssten vielmehr in den nächsten zehn Jahren hohe Überschüsse erwirtschaftet werden. Ablehnend stand die Expertin klassischen Vermögenssteuern – mit Ausnahme der Grundsteuer – gegenüber, da sie sehr starke negative Auswirkungen auf die Wirtschaft hätten. Eine differenzierte Bewertung nahm Köppl-Turyna in Bezug auf die Erbschaftssteuer vor, weil damit sowohl Vorteile als auch Nachteile (Stichwort Konsumanreiz) verbunden seien. Handlungsbedarf sah sie bei den Pensionen, wobei ihrer Meinung nach vor allem das gesetzliche Antrittsalter erhöht werden müsse.
Christoph Badelt gab bezüglich der Debatte über die Ausgabendynamik zu bedenken, dass die Steigerungen bei einigen sehr großen Blöcken wie zum Beispiel den Pensionen auf gesetzliche Verpflichtungen zurückzuführen seien. Martin Gundinger schlug als eine konkrete Maßnahme vor, dass jeder Euro, der in einer Untergliederung erhöht werde, in einem anderem Bereich eingespart werden müsse. Margit Schratzenstaller-Altzinger plädierte eher für einen Kulturwandel, da die Einführung von Automatismen bei einem fehlenden politischen Willen nicht viel bringen würde.
Eine schlechte budgetäre Ausgangsposition habe gravierende Auswirkungen auf die Langfristprognose, erläuterte der Leiter des Parlamentarischen Budgetdienstes Helmut Berger, wobei man bei der Analyse sowohl die demographischen Entwicklungen als auch die Folgen des Klimawandels einbezogen habe. Wenn sich nun in den nächsten vier Jahren die Budgetdefizite zwischen 16 Mrd. € und 20 Mrd. € bewegen, dann würde sich die Basis für die nächsten Berechnungen deutlich erhöhen. Damit verbunden sei auch eine höhere Zinsbelastung, da die Finanzierungskosten mittlerweile um einiges höher seien als in den vergangenen Jahren, warnte Berger. Die Einhaltung einer fiskalischen Disziplin schlage sich zudem in den Bewertungen der Rating-Agenturen nieder. Zu der Wortmeldung von NEOS-Vertreter Gerald Loacker merkte der Leiter des Budgetdienstes an, es sei evident, dass die erwähnten Maßnahmen die Pensionslücke nicht positiv beeinflusst haben. Berger schlug vor, noch mehr auf Anreizsysteme zu setzen, die derzeit noch bei Weitem nicht ausgereizt seien. (Fortsetzung Budgetausschuss) sue/gla
HINWEISE: Der Budgetdienst des Parlaments bietet ökonomische Analysen zur Budgetpolitik und zu Vorlagen des Bundesministeriums für Finanzen.
Details zum Budget 2024, den Änderungen zu den Vorjahren sowie der Entwicklung des laufenden Budgetvollzugs bietet das interaktive Visualisierungstool des Budgetdiensts. Dort erhalten Sie einen raschen und transparenten Überblick über relevante Budgetdaten.
HINWEIS: Fotos vom Expert:innenhearing des Budgetausschusses finden Sie im Webportal des Parlaments. Die Debatte ist auch als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.
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