Ehrung Elfriede Jelinek
Ehrung Elfriede Jelinek
Wiens Bürgermeister Ludwig überreichte Elfriede Jelinek die Ehrenbürgerschaft. Kulturstadträtin Kaup-Hasler hielt die Laudatio: „Du bist unverkennbar Wienerin“
Wiens Bürgermeister Michael Ludwig überreichte der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek am Dienstag die Ehrenbürgernadel der Stadt Wien. Die Laudatio hielt die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler.
In seinen Begrüßungsworten an die neue Ehrenbürgerin Wiens meinte der Stadtchef: „Elfriede Jelineks Literatur – egal, ob Essay, Roman oder Dramatik – ist nie bloß l’art pour l’art, sondern nahm und nimmt immer auch ganz gezielt auf gesellschaftliche und politische Zustände und Entwicklungen Bezug. Dadurch zeigen ihre Texte immer Wirkung, dadurch sind sie immer _folgenreich_. Das machte sie einerseits zu einer der _erfolgreichsten_ Autorinnen der Literaturgeschichte – den Höhepunkt bildete 2004 die Verleihung des Literaturnobelpreises an Jelinek. Auf der anderen Seite war sie aber auch immer Ziel von Angriffen und Anfeindungen von konservativer bis reaktionärer Seite und wurde regelmäßig als ,Nestbeschmutzerin‘, ,Kommunistin‘ oder ,Pornografin‘ denunziert.“
Und Ludwig weiter: „Als sie etwa mit dem Stück ,Burgtheater‘ das inoffizielle Stillschweigeabkommen durchbrach, das bis dahin hinsichtlich der Rolle der Familie Hörbiger-Wessely in der NS-Zeit galt, wurden Sie als ,Staatsfeindin‘, im gleichen Atemzug aber auch als ,Staatskünstlerin‘ beschimpft. Und im Gefolge der Uraufführung Ihrer Mozart-Paraphrase ,Raststätte oder Sie machens alle‘ in Claus Peymanns Inszenierung affichierte die Wiener FPÖ, wie erinnerlich, das Plakat ,Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk oder Kunst und Kultur?‘“
„_Folgenreich“, _so der Bürgermeister_, „_waren dann auch ihre Stücke ,Stecken, Stab und Stangl‘, in der Regie von George Tabori, wo sie die Roma-Morde in Oberwart thematisierte; ,Bambiland‘, eine medienkritische Betrachtung des Irak-Krieges; ,Rechnitz‘, in dem sie das Massaker an jüdischen Zwangsarbeitern im Zuge einer feuchtfröhlichen Nazi-Party aufgriff; das auf milliardenschwere Polit-Egomanen à la Donald Trump anspielende Königsdrama ,Am Königsweg‘ oder ,Schwarzwasser‘, ihre literarische Abrechnung mit der Causa Ibiza.“
Und Ludwig weiter: „Ihre Romane, mit denen Jelinek nicht weniger als eine schonungslose Entmystifizierung des romantischen Liebesideals zwischen Mann und Frau anstrebte und der Scheinheiligkeit den Heiligenschein nahm, zeigten nicht weniger Wirkung als ihre Theaterstücke: Literarische Würfe wie ,Lust‘, ,Gier‘, ,Neid‘ oder ,Die Klavierspielerin‘, kongenial von Michael Haneke verfilmt, entluden sich wie mächtige Gewitterzellen über der überrumpelten Leserschaft.“
„Für den Literaturnobelpreis war selbstverständlich die unvergleichliche Jelinek’sche Sprachmacht ausschlaggebend“, so der Stadtchef. „Eine der besten Metaphern dafür hat sich die Regisseurin Claudia Müller einfallen lassen, die ihre Jelinek-Film-Doku auch gleich so betitelt hat: ,Die Sprache von der Leine lassen‘. Tatsächlich kenne ich weltweit nur wenige Literatinnen und Literaten, deren Worte, Sätze und Textflächen – einmal _von der Leine gelassen_ – so beunruhigend und verstörend sind wie Elfriede Jelineks. Und damit auch so wirksam und _folgenreich_.“
Michael Ludwig: „Verdient gemacht hat sich Elfriede Jelinek auch durch ihre spontane Zivilcourage. So ließ sie etwa bei einer der regierungskritischen Donnerstagdemonstrationen auf dem Ballhausplatz einen ,Haider-Monolog‘ (,Das Lebewohl‘) aufführen. Und mit der Kasperltheater-Montage ,Ich liebe Österreich‘ hat sie ad hoc den Umgang mit Asylwerberinnen und –werbern in unserem Land kritisiert. Ich erinnere mich auch noch, als sie 2013, am Tag der Menschenrechte, im Rahmen der Kampagne ,Stop Watching Us‘ gegen die systematische Überwachung im Internet durch Geheimdienste protestierte. Darüber hinaus nimmt sie auf Ihrer heftig frequentierten Homepage sehr persönlich und wortreich Stellung zu Aktuellem und Brisantem: etwa zum abscheulichen Attentat auf Salman Rushdie.“
Für den Wiener Bürgermeister ist Elfriede Jelinek „eine Frau mit Eigenschaften. Und all diese Eigenschaften machen sie zur _Citoyenne_. Und das bedeutet nicht nur Bürgerin. Der Citoyen und die Citoyenne sind Bürgerinnen und Bürger, die im Geiste des Jahrtausendprojekts der Aufklärung aktiv und eigenverantwortlich am Gemeinwesen, der Civitas, teilnehmen und diese mitgestalten. Und dieser Definition entspricht Elfriede Jelinek so tausendprozentig, dass ich als Bürgermeister die Ehrenbürgerschaft der Stadt Wien für die österreichische Literaturnobelpreisträgerin beantragt und der Wiener Gemeinderat sie beschlossen hat.“
Michael Ludwig: „Damit befindet sich die neue Ehrenbürgerin Wiens in bester Gesellschaft: etwa mit Billy Wilder, Teddy Kollek, Eric Pleskow, Eric Hobsbawn, Eric Kandel, Carl E. Schorske, Friederike Mayröcker oder Hugo Portisch. Ich gratuliere Elfriede Jelinek dazu mit größter Sympathie und von ganzem Herzen!“
Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler betonte in ihrer sehr persönlichen Laudatio die politische Ebene im literarischen und dramatischen Werk der Nobelpreisträgerin: „Schlagend führst Du vor, dass Auseinandersetzung mit und Kritik von Politik, Gesellschaft und Kultur zu allererst eine Auseinandersetzung mit Sprache und jenen Sprachregelungen, Floskeln, Beschwichtigungsformeln und Werbeslogans, die uns umgeben, sein muss.“
Und Kaup-Hasler weiter: „Du hast einen unglaublichen Instinkt für akute Themen. ‚Die Wirklichkeit‘, so beschreibst Du es, sei ‚die Vorgesetzte der Autorin, auch wenn sie die kaum je zu sehen kriegt‘. Die Tagesaktualität verwandelst Du in Deiner Welt- und Sprachwahrnehmung zu einer grundsätzlichen Analyse von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zuständen.“
Auch die tiefe Verbundenheit von Elfriede Jelinek mit Wien strich die Stadträtin in ihrer Laudatio hervor: „In der Tat bist Du zutiefst mit Wien verbunden. Das zeigt sich ja auch in der Tatsache, dass Du – nachdem Du seit dem Nobelpreis sämtliche Ehrungen ausgeschlagen hast – zur heutigen Ehrung als Ehrenbürgerin der Stadt Wien ja gesagt hast mit der empathischen Begründung ‚Ich liebe ja diese Stadt. Das ist meine Stadt. Da komm ich doch her – und meine ganze Familie.‘
Und die Kulturstadträtin abschließend: „Es ist vor allem Deine wunderbare Beherrschung des Wiener Schmähs, dieses einzigartig bösartigen und zugleich selbstironischen Humors, mit dem Du dünkelhaftem Bürgertum ebenso begegnest wie dem Jugendwahn eines Jörg Haider oder der grassierenden Ausländerhetze. Hier steckst Du – unverkennbar Wienerin – in der Tradition und dem Sprachwitz eines Nestroy, der Wittgenstein‘schen Sprachphilosophie und der sprachlichen Virtuosität der Wiener Gruppe. Es ist uns eine Ehre, Dich in dieser Stadt zu wissen.“
Elfriede Jelinek bedankte sich „gerührt“ für die Ehrung. „Diese Auszeichnung ist die einzige, die ich seit dem Literaturnobelpreis annehme. Denn ich fühle mich verbunden mit der Tradition des Roten Wien. Man muss diese Stadt mit ihrer Multikulturalität und ihrer Integrationskraft hochhalten.“
Bürgermeister Ludwig führte ins Treffen, dass jüngst sogar die „New York Times“ Wien als „realisierte Utopie“ bezeichnet habe.
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