„Can you speed up the process?“
„Can you speed up the process?“
VertretungsNetz: UN-Kommission fordert von Österreich zu Recht mehr Tempo bei Umsetzung der Behindertenrechtskonvention
Österreich ist in vielen Bereichen säumig, was die Inklusion von Menschen mit Behinderungen betrifft – ob es um Deinstitutionalisierung, Bildung, Arbeitsmarkt, soziale Absicherung, barrierefreie Umwelten oder eine selbstbestimmte Lebensführung trotz Stellvertretung geht. Das beschämende Fazit der soeben beendeten UN-Staatenprüfung ist nun in Form der „Concluding Observations“ (abschließende Bemerkungen) dokumentiert – als klarer Auftrag an die österreichische Politik.
Besonders hervorgehoben wird von der Kommission die Passivität der Länder. So stellt der Ausschuss „mit großer Sorge fest, dass die Landesregierungen der Konvention kaum Beachtung schenken“ und schreibt nochmals unmissverständlich fest, dass „die Bestimmungen des Übereinkommens sich auf alle Teile der Bundesstaaten ohne irgendwelche Einschränkungen oder Ausnahmen erstrecken“. Die föderale Struktur eines Vertragsstaats kann keine Entschuldigung dafür sein, sich zurückzulehnen und die Verpflichtungen aus der Konvention nicht oder nur mangelhaft umzusetzen.
Auch VertretungsNetz war als Teil der zivilgesellschaftlichen Delegation anlässlich der Prüfung in Genf und brachte seine Wahrnehmungen als Erwachsenenschutzverein ein. Das vor 5 Jahren in Kraft getretene Erwachsenenschutzgesetz gilt zwar als Meilenstein, da die Selbstbestimmung von Menschen mit eingeschränkter Entscheidungsfähigkeit in den Mittelpunkt gestellt wird. Dennoch: Die Zahl aller Erwachsenenvertretungen steigt immer noch kontinuierlich an und viele Vertretungsverhältnisse lassen wenig Spielraum für eine selbstbestimmte Lebensführung zu. So zeigt sich der Fachausschuss besorgt über die hohe Zahl an gesetzlichen und gerichtlichen Erwachsenenvertretungen, die mit dem Modell des „supported decision making“ im Widerspruch stehen.
Viele Erwachsenenvertretungen könnten verhindert werden. Doch es fehlen regionale Unterstützungsangebote, damit Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen oder psychischen Erkrankungen im Alltag ohne Vertretung zurechtkommen. Ämter und Behörden schaffen es nicht, Abläufe und Kommunikation barrierefrei zu gestalten. „Die Bundesländer fühlten sich bisher für die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention nicht zuständig. Der UN-Ausschuss hat erneut klipp und klar festgestellt, dass die Länder dazu vertraglich verpflichtet sind“, zeigt sich Martin Marlovits, stv. Fachbereichsleiter Erwachsenenvertretung bei VertretungsNetz erfreut. Der Ausschuss empfiehlt Österreich sogar, einen Rechtsanspruch auf angemessene finanzielle, technische und persönliche Unterstützung für ein selbstbestimmtes Leben vorzusehen.
GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE NUR MIT SOZIALER ABSICHERUNG
Umfassende Teilhabe an der Gesellschaft ist ohne tragfähiges soziales Netz nicht zu haben. So verlangt der Ausschuss von Österreich als Vertragsstaat der Konvention, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um Menschen mit Behinderungen sozial abzusichern und vor Armut zu bewahren. Ein wichtiger Appell, denn das Sozialhilfegrundsatzgesetz hat in den letzten Jahren massive Verschlechterungen gebracht für jene, die als „arbeitsunfähig“ gelten, etwa wegen einer schweren psychischen Erkrankung.
„Vor dem Hintergrund von Inflation und Teuerung wird es aktuell immer schwieriger, die Wohn- und Lebenshaltungskosten für viele unserer Klient:innen zu decken. Dann ist zwar die Miete bezahlt, doch es bleibt zu wenig übrig für Lebensmittel und Kleidung. Sogar bei behinderungsbedingten Ausgaben wie etwa Wohnassistenz oder Pflegedienst muss vereinzelt schon gespart werden – komplett konträr zu den Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention“, schildert Marlovits.
KEIN WEITERER AUSBAU VON GROSSANSTALTEN
Auch das Thema Zwangsbehandlungen und Freiheitsentzug in Haftanstalten und forensisch-therapeutischen Zentren hat den Ausschuss beschäftigt. Nach den Empfehlungen ist das Modell des Maßnahmenvollzugs, das auf eine Sonderbehandlung von (vermeintlich) straffällig gewordenen Personen mit einer psychosozialen oder intellektuellen Beeinträchtigung anknüpft, unzulässig. Die Abschaffung von Sonderanstalten für Menschen mit Behinderungen hat der Fachausschuss schon in seinen allgemeinen Richtlinien von 2014 gefordert. Österreich ist weiterhin säumig und baut im Gegenzug weiterhin Großanstalten aus – auch dies ein Punkt, der in den concluding observations stark kritisiert wird.
„Die UN-Empfehlungen sind umfangreich und sehr deutlich. Sie sollten nun zum Anlass genommen werden, um bei der Umsetzung von Inklusion endlich von der Bremse weg und aufs Gas zu steigen“, so Marlovits. Die Empfehlungen aus der Staatenprüfung sind für Österreich zwar nicht bindend, doch können sie tiefgreifende Veränderungen in Bewegung setzen. Schließlich wurde nach der letzten Prüfung im Jahr 2013 das Sachwalterrecht grundlegend reformiert.
Mag.a Karina Lokosek, BA
VertretungsNetz – Öffentlichkeitsarbeit
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