Tagungsbilanz des Nationalrats 2022/23: Viele Sitzungen und etwas weniger Beschlüsse als zuletzt

Tagungsbilanz des Nationalrats 2022/23: Viele Sitzungen und etwas weniger Beschlüsse als zuletzt

Rekord bei Volksbegehren; 26,4 % der Gesetzesbeschlüsse einstimmig

57 Sitzungen, 174 Gesetzesbeschlüsse und 349 Plenardebatten mit einer Gesamtdauer von 282 Stunden und 30 Minuten. Dazu 146 Ausschusssitzungen, 23 Unterausschusssitzungen, 19 Sitzungen des im April beendeten ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses und 3.622 schriftliche Anfragen an die Regierung. Das ist die in Zahlen gegossene Bilanz der Tagung 2022/23 des Nationalrats, die heute zu Ende geht. Startete der Nationalrat die Tagung noch im Ausweichquartier in der Hofburg, konnten die Abgeordneten im Jänner wieder in das historische Parlamentsgebäude zurückkehren und den von Grund auf renovierten Sitzungssaal des Nationalrats in Besitz nehmen.

Die Zahlen spiegeln auch das Ende der Corona-Krise wider. Zwar ist die Zahl der Gesetzesbeschlüsse nach wie vor verhältnismäßig hoch, die Rekordwerte der Parlamentsjahre 2020/21 und 2021/22 während der Corona-Pandemie wurden aber nicht mehr erreicht. Bei der Anzahl der Sitzungen war hingegen ein leichtes Plus gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen, was vor allem daran lag, dass es mit insgesamt sieben wieder deutlich mehr Sondersitzungen als in der letzten Tagung gab. Daneben gab es 20 weitere Sitzungen mit Tagesordnung sowie 30 sogenannte Zuweisungssitzungen.

Neben den 174 Gesetzesbeschlüssen haben die Abgeordneten 9 Staatsverträge und 3 Bund-Länder-Vereinbarungen genehmigt und zuletzt die neue Kontrollkommission für den Verfassungsschutz gewählt. Zudem richteten sie 70 Entschließungen an die Regierung. Rund jeder vierte Gesetzesbeschluss (26,4 %) erfolgte einstimmig (2021/22: 22,5 %, 2020/21: 38,1 %).

Geprägt war die Tagung, abseits der Corona-Pandemie, insbesondere vom Krieg Russlands gegen die Ukraine, der Teuerung und der Klimakrise. So wurden etwa zahlreiche Entlastungspakete für Unternehmen und die Bevölkerung geschnürt und verschiedene Maßnahmen zur Sicherstellung der Energieversorgung beschlossen. Die Opposition zeigte sich mit der Regierungspolitik aber über weite Strecken unzufrieden und warf den Koalitionsparteien Versagen vor. Mit ihrer Forderung nach vorgezogenen Neuwahlen konnten sich SPÖ, FPÖ und NEOS jedoch ebenso wenig durchsetzen wie mit insgesamt sechs Misstrauensanträgen, die auch den Nachwehen mutmaßlicher Korruptionsaffären geschuldet waren. Immer wieder Thema in den letzten zehn Monaten waren auch die Asyl- und Migrationspolitik sowie die im vergangenen Jahr eingeleitete Pflegereform.

Ein Rekordwert wurde bei der Zahl der Volksbegehren erreicht. Außerdem war mit der Präsidentin des Europäischen Parlaments Roberta Metsola seit längerem wieder eine internationale Persönlichkeit dazu eingeladen, eine Erklärung im Nationalrat abzugeben. Für öffentliche Aufmerksamkeit sorgte auch eine per Video zugeschaltete Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi, die allerdings außerhalb des Sitzungsgeschehens stattfand. Im Jänner wurde der wiedergewählte Bundespräsident Alexander Van der Bellen vor der Bundesversammlung angelobt.

Zuletzt sorgte noch ein Besucher für Aufregung, der während einer Plenardebatte unbemerkt in den Sitzungssaal gelangte und auf der Regierungsbank Platz nahm.

8 DRINGLICHE ANTRÄGE, 4 DRINGLICHE ANFRAGEN, 6 MISSTRAUENSANTRÄGE

Im Rahmen der 57 Plenarsitzungen nahmen die Abgeordneten auch 74 Berichte der Regierung, des Rechnungshofs und der Volksanwaltschaft in Verhandlung. Zudem hielten sie 9 Aktuelle Stunden, 4 Aktuelle Europastunden und 7 Fragestunden ab. Dazu kommen 2 Erklärungen von Vizekanzler Werner Kogler und Europaministerin Karoline Edtstadler, an die, ebenso wie an die Erklärung von EP-Präsidentin Metsola, eine Debatte anschloss. 7 Gesetzesvorlagen – inklusive des Budgets 2023 – und 21 Volksbegehren wurden in Erste Lesung genommen.

Mit 8 besonders hoch in dieser Tagung war die Zahl der Dringlichen Anträge. Darüber hinaus diskutierten die Abgeordneten über 4 Dringliche Anfragen und hielten 13 Kurze Debatten zu Fristsetzungsanträgen und Anfragebeantwortungen von Minister:innen ab. Von den sechs Misstrauensanträgen gingen fünf auf das Konto der FPÖ, einen hat die SPÖ eingebracht. Neben der Regierung als Ganzes richteten sie sich gegen Innenminister Gerhard Karner und Medienministerin Susanne Raab, denen die FPÖ zum einen unzureichende Auskünfte zur Kriminalstatistik und zum anderen die geplante Haushaltsabgabe für den ORF vorwarf. Auch fünf der sieben Sondersitzungen wurden auf Verlangen einer Oppositionspartei einberufen.

58 Mal mussten Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und seine beiden Amtskolleg:innen Doris Bures und Norbert Hofer mit Ordnungsrufen einschreiten.

WEITERHIN MEHR INITIATIVANTRÄGE ALS REGIERUNGSVORLAGEN

Mehr als die Hälfte der Gesetzesbeschlüsse (93) geht auf parlamentarische Anträge zurück. Damit hat sich der mit der Corona-Krise eingeleitete Trend fortgesetzt. Auch insgesamt blieb das Tempo der Gesetzgebung weiter hoch. So griffen die Koalitionsparteien nicht nur auf Fristsetzungsanträge, sondern wiederholt auch auf leere Gesetzeshülsen – sogenannte „Trägerraketen“ – zurück, um Gesetzesvorhaben rasch auf den Weg zu bringen. Das sorgte bei der Opposition ebenso für Unmut wie die Zuweisung des einen oder anderen Gesetzentwurfs an einen fachfremden Ausschuss. Auch vor Pannen war das Hohe Haus in dieser Tagung nicht gefeit: So musste etwa das neue Eltern-Kind-Pass-Gesetz wegen eines Formalfehlers an den Gesundheitsausschuss zurückverwiesen werden. 16 Gesetzesbeschlüssewurden auf Basis von Ausschussanträgen gefasst, 64 beruhten auf Regierungsvorlagen. Dazu kommt noch der Bundesrechnungsabschluss 2022.

Zum Teil holprig verliefen auch die Beratungen über Gesetze, für die eine Zweidrittelmehrheit notwendig war. So verweigerte die SPÖ vorübergehend allen Gesetzesvorschlägen der Regierungsparteien ihre Zustimmung, um diese dazu zu bewegen, inflationslindernde Maßnahmen zu beschließen. Das brachte – abseits von inhaltlichen Bedenken – etwa das neue Energieeffizienzgesetz im ersten Anlauf zum Scheitern. Mittlerweile hat die SPÖ ihre Blockade zwar wieder beendet, das Bundes-Krisensicherheitsgesetz musste dennoch deutlich abgespeckt werden, weil keine Oppositionspartei dem Vorhaben in der vorgeschlagenen Form zustimmen wollte. Nach wie vor auf Eis liegen auch das Erneuerbare-Wärme-Gesetz, das auf einen raschen Austausch von Öl- und Gasheizungen abzielt, und ein Antrag von ÖVP und Grünen, Finanzminister Magnus Brunner neue Informations-, Einsichts- und Entsendungsrechte bei der E-Control zu gewähren. Insgesamt haben in dieser Tagung dennoch 18 Gesetze mit nötiger Zweidrittelmehrheit den Nationalrat passiert.

In Summe haben die fünf Fraktionen in dieser Tagung 158 Gesetzesanträge eingebracht. Dazu kommen 645 selbstständige Entschließungsanträge, wobei manche davon von der Opposition mehrfach vorgelegt worden waren.

BOOM BEI VOLKSBEGEHREN

Ein regelrechter Boom war zuletzt bei Volksbegehren zu verzeichnen. Gleich 21 standen in dieser Tagung im Nationalrat zur Diskussion. Dazu kommen sechs weitere Initiativen, die demnächst im Hohen Haus einlangen werden, nachdem sie in der jüngsten Eintragungswoche die Hürde von 100.000 Unterstützungserklärungen übersprungen haben. Die Anliegen der Bürger:innen sind breit gestreut und reichten von einem weitgehenden Aus für Lebendtiertransporte über schärfere Antikorruptionsbestimmungen bis hin zur Abschaffung der GIS-Gebühren. Auffällig ist, dass einzelne Proponenten-Gruppen immer wieder neue Initiativen in die Wege leiten und sich die Anliegen zum Teil überschneiden.

Zu den 21 Volksbegehren kommen 13 Bürgerinitiativen und 28 Petitionen.

In den Fachausschüssen standen neben dutzenden Gesetzesvorschlägen und Entschließungsanträgen unter anderem auch 236 Berichte der Bundesregierung – davon 13 Jahresvorschauen über aktuellen EU-Vorhaben – zur Diskussion.

3.650 SCHRIFTLICHE ANFRAGEN

Weiterhin hoch blieb die Zahl der schriftlichen Anfragen, auch wenn die Rekordwerte der vergangenen beiden Tagungen nicht erreichtwurden. Konkret haben die Abgeordneten bis gestern Abend 3.622 Anfragen an Regierungsmitglieder eingebracht. Dazu kommen 23 Anfragen an Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und 4 Anfragen an Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker. Eine weitere Anfrage wurde an Sobotka in seiner Funktion als Vorsitzender des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses gerichtet.

Die mit Abstand meisten Anfragen gehen wieder auf das Konto der FPÖ (1.856), gefolgt von der SPÖ (1017) und den NEOS (715). Von den Grünen wurden 43 Anfragen gestellt, die meisten davon an das Innenministerium. Im Vergleich dazu begehrte die ÖVP nur 19 Mal genauere Auskunft, wobei knapp die Hälfte dieser Anfragen an Klimaschutzministerin Leonore Gewessler gerichtet war. Fraktionsübergreifende Anfragen gab es in dieser Tagung nicht.

Das größte Interesse zeigten die Mandatar:innen dieses Mal für Angelegenheiten aus dem Zuständigkeitsbereich von Sozial- und Gesundheitsminister Johannes Rauch (622). Danach folgen das Innenministerium (517), das Wirtschafts- und Arbeitsministerium (348) und das Justizministerium (334). Am anderen Ende der Liste rangiert das im Bundeskanzleramt angesiedelte Bundesministerium für EU und Verfassung mit 109 schriftlichen Anfragen.

KAMPF GEGEN DIE TEUERUNG

Inhaltlich hat der Nationalrat in Reaktion auf die hohe Inflationsrate unter anderem Einmalzahlungen und Sonderzuschüsse für besonders betroffene Gruppen wie einkommensschwache Familien und Bezieher:innen kleiner und mittlerer Pensionen, diverse allgemeine Energiehilfen wie die Strompreisbremse, eine mehrfache Aufstockung des sogenannten „Wohnschirms“, das weitere Aussetzen der von Privathaushalten zu zahlenden Ökostrom-Pauschale und die außertourliche Erhöhung von Beihilfen wie der Schüler:innenbeihilfe beschlossen. Außerdem wurden Änderungen beim „Energiekrisenbeitrag Strom“ vorgenommen, um Stromerzeuger zu bewegen, gesunkene Großhandelspreise an ihre Kunden weiterzugeben. Die schon früher beschlossene Senkung der Elektrizitäts- und Erdgasabgabe wurde bis Ende 2023 verlängert und die Aliquotierung der ersten Pensionserhöhung vorübergehend ausgesetzt. Auch von der im Herbst beschlossenen Abschaffung der kalten Progression und der automatischen Valorisierung vieler Familien- und Sozialleistungen ab dem Jahr 2023, von vielen als politische Meilensteine bewertet, haben die Haushalte profitiert.

Von den Oppositionsparteien wurden die gesetzten Maßnahmen allerdings nur zum Teil unterstützt. Sie warfen der Regierung unter anderem vor, Förderungen „mit der Gießkanne“ auszuschütten und zu wenig zu tun, um die Preise selbst zu stabilisieren. So drängte die SPÖ etwa wiederholt auf die Senkung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel und auf eine „Mietpreisbremse“. Auch die FPÖ sprach sich für direkte Preiseingriffe aus. Verhandlungen zwischen den Koalitionsparteien über ein vorübergehendes Aussetzen der Erhöhung von Richtwertmieten führten allerdings zu keinem Ergebnis.

HILFEN FÜR UNTERNEHMEN UND GEMEINDEN

Um die – insbesondere durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und eingeschränkte russische Gaslieferungen – ausgelöste Energie-Krise in den Griff zu bekommen, hat der Nationalrat außerdem vorübergehend strategische Ölreserven freigegeben und weitere Hilfen für Gemeinden und Unternehmen in Milliardenhöhe auf den Weg gebracht. Das betraf etwa Investitionszuschüsse für die Kommunen, die teilweise Kompensation der Stromkosten für energieintensive Betriebe und neue Energiekostenzuschüsse für Unternehmen. Auch für Non-Profit-Organisationen, Kleinstunternehmen und sogenannte Neue Selbständige wurden bzw. werden Hilfen bereitgestellt.

Darüber hinaus haben die Abgeordneten durch ergänzende Bestimmungen im Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz sichergestellt, dass Haushalte weiterhin mit Strom versorgt werden, wenn ein Anbieter den Markt verlässt und der Kunde bzw. die Kundin zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung noch keinen Vertrag mit einem neuen Lieferanten abgeschlossen hat. Gleichzeitig soll mehr Preistransparenz künftig dafür sorgen, dass Konsument:innen leichter den für sie günstigsten Stromtarif finden.

Ein neues Stromverbrauchsreduktionsgesetz zielt darauf ab, den Stromverbrauch in Spitzenzeiten zu deckeln. Außerdem wurden Fernwärmeanlagen in den Kreis der geschützten Kunden aufgenommen, um im Krisenfall eine prioritäre Gasversorgung für Fernwärmeanlagen sicherzustellen. Auch die Abschöpfung übermäßiger Gewinne von Energiekonzernen hat der Nationalrat – in Einklang mit EU-Vorgaben – im vergangenen Arbeitsjahr gebilligt.

MASSNAHMEN ZUR ERREICHUNG VON KLIMASCHUTZ-ZIELEN

Um nationale und internationale Klimaschutz-Ziele zu erreichen, stellt die Regierung unter anderem bis zum Jahr 2042 knapp 3 Mrd. € für die ökologische Umrüstung von Industrieanlagen bereit. Ebenso wurden die Aufstockung weiterer Umweltförderungen, Erleichterungen bei der Inanspruchnahme von Photovoltaik-Förderungen, eine Novelle zum Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz zur Verfahrensbeschleunigung von Energiewende-Projekten wie Windkraftanlagen und ein neues Energieeffizienzgesetz beschlossen. Außerdem wird die Anschaffung klimafreundlicher Heizungen wie Wärmepumpen und Biomassekessel bzw. die Herstellung von Fernwärmeanschlüssen durch Investitionsfreibeträge steuerlich begünstigt. Beim Klimabonus erfolgte eine Rückkehr zur ursprünglich vorgesehenen regionalen Staffelung.

Die Verhandlungen in Sachen Klimaschutz verliefen allerdings nicht immer reibungslos. So passierte das ohnehin schon mit großer Verspätung vorgelegte Energieeffizienzgesetz den Nationalrat erst im zweiten Anlauf und in deutlich abgespeckter Form, nachdem ÖVP und Grüne weder die SPÖ noch die FPÖ für das Vorhaben gewinnen konnten und die für den Erstentwurf notwendige Zweidrittelmehrheit damit außer Reichweite blieb. Auch das schon seit Jahren überfällige neue Klimaschutzgesetz ist nach wie vor ausständig.

AUS FÜR COVID-19-PANDEMIE

Eine deutlich geringere Rolle als in den vorangegangenen Tagungen spielte die COVID-19-Pandemie. Zwar wurden einige Corona-Sonderbestimmungen wie der Rechtsanspruch auf Sonderbetreuungszeit noch ein oder zweimal Mal verlängert, inzwischen sind die meisten dieser Sonderregelungen aber ausgelaufen. So ist COVID-19 etwa seit Ende Juni keine meldepflichtige Infektionskrankheit mehr. Damit fielen auch alle Verkehrsbeschränkungen für Infizierte weg. Kostenlose Tests bei Symptomen und kostenlose Impfungen wird es gemäß dem vom Nationalrat verabschiedeten COVID-19-Überführungsgesetz und dem COVID-19-Impffinanzierungsgesetz aber weiterhin geben. Zudem wurden einige Sonderregelungen ins Dauerrecht übernommen, etwa was den Einsatz von Videotechnologie bei zivilgerichtlichen Verfahren und bei Verwaltungsverfahren betrifft. Bereits im vergangenen September haben die Abgeordneten überdies mehr Transparenz bei staatlichen Corona-Hilfen beschlossen. Die letzten Sonderbestimmungen für Corona-Kurzarbeit werden noch bis Ende September gelten.

Keine Mehrheit erhielt hingegen die Forderung der FPÖ, einen millionenschweren Corona-Wiedergutmachungsfonds des Bundes einzurichten. Auch ein Antrag der Freiheitlichen auf Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses stieß bei den anderen Fraktionen auf Ablehnung.

PFLEGEREFORM UND WEITERE GESUNDHEITSTHEMEN

In Zusammenhang mit der im Frühjahr 2022 eingeleiteten Pflegereform hat der Nationalrat in der Tagungsperiode 2022/23 unter anderem eine sechste Urlaubswoche für Pflegepersonal ab dem 43. Lebensjahr, einen jährlichen Bonus von 1.500 € für pflegende Angehörige mit niedrigem Einkommen, einheitliche Zeitguthaben für Nachtdienste in Pflegeheimen, eine Erhöhung des Gehaltsbonus für viele Pflegekräfte und die Einführung einer Pflegelehre – vorerst als Ausbildungsversuch – beschlossen. Zudem wurden Schulversuche im Bereich der Pflegeausbildung in das Regelschulwesen übergeführt, die Kompetenzen für Pflegepersonal ausgeweitet und die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse erleichtert.

Im Gesundheitsbereich hat der Nationalrat unter anderem eine Erweiterung und Modernisierung des Mutter-Kind-Passes in Richtung eines Eltern-Kind-Passes sowie eine Gesetzesnovelle zum beschleunigten Ausbau von Primärversorgungszentren auf Schiene gesetzt. Zudem wurde der Weg für die Einrichtung eines „Fachzahnarztes für Kieferorthopädie“, die Ausweitung des E-Rezepts auf privat zu bezahlende Medikamente wie hormonelle Verhütungsmittel, eine raschere Information von Patient:innen über schadhafte Medizinprodukte, Erleichterungen für grenzüberschreitende Notarzt-Einsätze und die Einrichtung von Abholfächern in Apotheken geebnet. Durch die Aufhebung von Sonderfachbeschränkungen bei Impfungen ist es Kinderärzt:innen nunmehr auch möglich, die Eltern mitzuimpfen. Mit einer Gewerbeordnungsnovelle wurden Kosmetiker:innen zur Haarentfernung mittels Laser berechtigt. Eine Adaptierung des Ärztegesetzes brachte Neuerungen in Bezug auf die Bewilligung ärztlicher Ausbildungsstätten.

HILFE FÜR DIE UKRAINE

In Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine stimmte der Nationalrat unter anderem dafür, nach Österreich geflüchteten Ukrainer:innen Kinderbetreuungsgeld zu gewähren und ihnen einen uneingeschränkten Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt zu eröffnen. Außerdem wurde Finanzminister Magnus Brunner ermächtigt, Haftungen für EU-Finanzhilfen für die Ukraine in der Höhe von 102 Mio. € zu übernehmen. Der Sonder-Aufenthaltsstatus für Ukraine-Vertriebene wurde mittels einer vom Hauptausschuss gebilligten Verordnung bis März 2024 verlängert. In Form einer Entschließung verurteilten die Abgeordneten den sogenannten „Holodomor“ und die russischen Angriffe auf Infrastruktur in der Ukraine.

Keine Mehrheit erhielt hingegen bislang ein Antrag der NEOS, Ukraine-Vertriebenen auch einen Anspruch auf Pflegegeld einzuräumen. Die FPÖ forderte wiederholt, die Sanktionen gegen Russland zu beenden.

WEITERE GESETZESBESCHLÜSSE

Zu den zahlreichen weiteren Gesetzesbeschlüsssen gehören unter anderem ein umfassendes Wahlrechtspaket mit Verbesserungen für Briefwähler:innen und Menschen mit Behinderung, die Einrichtung einer Beschwerdestelle gegen Polizeigewalt, erste Reformschritte beim Maßnahmenvollzug für geistig abnorme Rechtsbrecher:innen, die Einführung des Bestellprinzips bei den Maklergebühren und ein neues Barrierefreiheitsgesetz. Zudem wurden eine Verschärfung des Korruptionsstrafrechts, Erleichterungen bei der Beantragung der Rot-Weiß-Rot-Karte, ein neues Bundes-Krisensicherheitsgesetz, eine höhere Grundvergütung für Grundwehrdiener und Zivildiener und höhere Einstiegsgehälter im öffentlichen Dienst auf den Weg gebracht. Auch stimmten die Abgeordneten – teils einstimmig, teils mehrheitlich – für einen neuen Aufsichtsrahmen für Wertpapierfirmen, eine stärkere Förderung von freiwilligem Engagement, ein erweitertes Beitragssystem für die AMA-Marketingbeiträge, die Verlängerung des Bildungsbonus für Arbeitslose, das Schließen einer Lücke im Heimopferrentengesetz, die personelle Erweiterung der Kontrollkommission für den Verfassungsschutz, die Erweiterung der Transparenzdatenbank und die Erhöhung der Bundessportförderung. Am Meldezettel kann künftig auch eine alternative Geschlechtsbezeichnung – abseits von „männlich“ und „weiblich“ – angegeben werden.

Im Verkehrsbereich hat der Nationalrat unter anderem eine Verdoppelung der Strafen fürs Handytelefonieren am Steuer, eine praxisnähere Ausbildung von Fahrlehrer:innen und eine dauerhafte Beschlagnahmemöglichkeit für Fahrzeuge von extremen Raser:innen beschlossen. In das Strafgesetzbuch wurde ein neuer Straftatbestand „Terroristische Drohung“ eingefügt, außerdem wurden die Strafdrohungen für Cybercrime-Delikte angehoben. Ein Schulrechtspaket hatte unter anderem die Sicherung der Qualität des häuslichen Unterrichts zum Ziel. Mit einer Novelle zum Patentgesetz wurde das Patentierverbot von konventionellen Tier- und Pflanzenzüchtungen bekräftigt und der Weg für ein einheitliches europäisches Patent geebnet.

Wer ein Kind zu einem Reha-Aufenthalt begleiten muss, wird ab November einen bis zu einmonatigen arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruch haben und erhält in diesem Zeitraum Pflegekarenzgeld. Mit einer Novellierung des Hypothekar- und Immobilienkreditgesetzes wurde älteren Personen der Zugang zu Krediten erleichtert. Für den Ausbau von Schutzunterkünften für von Gewalt betroffene Frauen stellt der Bund zusätzlich 12 Mio. € zur Verfügung. Ein neues elektronisches Zahlungsinformationssystem zielt darauf ab, die Aufdeckung von Mehrwertsteuerbetrug zu erleichtern.

Eine weitere Entlastung für Unternehmen brachte die Senkung der Lohnnebenkosten durch eine Reduzierung der Dienstgeberbeiträge zum FLAF. Zudem wurden die Besteuerungsgrenzen für land- und forstwirtschaftliche Betriebe deutlich hinaufgesetzt. Neue Dokumentationspflichten für den Handel in Bezug auf die Entsorgung von Lebensmitteln sollen Lebensmittelverschwendung reduzieren.

ORF-REFORMPAKET, NEUES GESCHÄFTSMODELL FÜR DIE WIENER ZEITUNG

Im Medienbereich stechen unter anderem das Aus für die tägliche Printausgabe der Wiener Zeitung und das ORF-Reformpaket hervor. Letzteres bringt unter anderem die Umwandlung der GIS-Gebühr in eine Haushaltsabgabe ab 2024 und ein erweitertes Digitalangebot. Zudem wurden eine Neuregelung der Buchpreisbindung, mehr Transparenz für Regierungsinserate und eine Ausweitung der Filmförderung zur Stärkung des Filmstandorts Österreich beschlossen. Ein neues Terrorinhalte-Bekämpfungs-Gesetz soll sicherstellen, dass Hostingbetreiber Terror-Inhalte im Internet, wie von der EU vorgegeben, innerhalb einer Stunde löschen. Die neue Qualitätsförderung für Zeitungen und Online-Medien muss hingegen noch auf die beihilfenrechtliche Genehmigung der EU warten.

In Form von Entschließungen sprach sich der Nationalrat zuletzt unter anderem für die Einführung eines Gedenktags für Roma und Sinti am 2. August, die Überarbeitung der österreichischen Sicherheitsstrategie und mehr Therapieangebote für Patient:innen mit chronischem Erschöpfungssyndrom (ME/CFS) aus.

ERSTER BUDGETENTWURF VON FINANZMINISTER MAGNUS BRUNNER

Im Herbst seinen ersten Budgetentwurf vorgelegt hatte Finanzminister Magnus Brunner. Neben Klimaschutz und Pflegereform zählt auch die Landesverteidigung zu den Budgetschwerpunkten im heurigen Jahr. Zudem schlagen sich die Hilfen für Haushalte und Unternehmen zur Abfederung der Teuerung, die Abschaffung der kalten Progression und die beschlossene Valorisierung der Sozialleistungen in den Budgetzahlen für das Jahr 2023 nieder. Das Budgetdefizit soll mit veranschlagten 17,1 Mrd. € trotzdem etwas geringer ausfallen als 2022, als unterm Strich ein Minus von 20,8 Mrd. € zu verzeichnen war.

ÖVP-KORRUPTIONS-UNTERSUCHUNGSAUSSCHUSS

Zu insgesamt 48 Sitzungen – davon 19 in dieser Tagung – ist der ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss zusammengetreten, der Ende März nach rund einjähriger Prüftätigkeit seinen Abschlussbericht vorgelegt hat. Zuvor war es zu Unstimmigkeiten zwischen den Fraktionen in Bezug auf die Verlängerung des Ausschusses gekommen, was zur Folge hatte, dass der ehemalige Generalsekretär im Finanzministerium und ÖBAG-Chef Thomas Schmid kein weiteres Mal mehr befragt werden konnte.

Auch was die Ergebnisse des Ausschusses betrifft, gab es keinen gemeinsamen Nenner der Fraktionen. Sie zogen aus den durchgeführten Befragungen und den von den Ministerien vorgelegten Akten zum Teil höchst unterschiedliche Schlüsse. So sah sich die ÖVP in ihrer Vermutung bestätigt, dass die Einsetzung des U-Ausschusses rein parteipolitisch motiviert war und dieser wenig Erkenntnisse bringen würde. Die anderen Parteien verwiesen demgegenüber unter anderem auf zutage getretenen „Postenschacher“ und die missbräuchliche Verwendung von Steuergeld und kritisierten eine „Spezialbehandlung für Superreiche“.

Im Zuge seiner Prüftätigkeit hatte der Untersuchungsausschuss 82 Auskunftspersonen befragt, drei davon doppelt. Der Aktenbestand summierte sich zuletzt auf rund 27 Millionen Seiten, davon 25,5 Mio. in elektronischer Form.

PERSONELLE ÄNDERUNGEN

Die augenfälligste personelle Änderung in dieser Tagung war der Abgang von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, die nicht nur den Parteivorsitz, sondern auch ihre Funktion als SPÖ-Klubobfrau zurückgelegt hat und schließlich mit Ende Juni gänzlich aus dem Nationalrat ausschied. Neuer SPÖ-Klubobmann im Nationalrat ist nun Philip Kucher. Auch der langjährige FPÖ-Wehrsprecher Reinhard Eugen Bösch, die SPÖ-Abgeordnete Nurten Yilmaz und die FPÖ-Abgeordneten Erwin Angerer und Edith Mühlberghuber haben ihr Mandat zurückgelegt.

Darüber hinaus war das Hohe Haus auch im abgelaufenen Parlamentsjahr wieder Ort zahlreicher Veranstaltungen und internationaler Kontakte (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 820/2023). (Fortsetzung Tagungsbilanz) gs

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