Antikorruptionsvolksbegehren: Diskurs über Korruptionsstrafrecht und Generalstaatsanwaltschaft

Antikorruptionsvolksbegehren: Diskurs über Korruptionsstrafrecht und Generalstaatsanwaltschaft

Zweiter Teil des Hearings mit Justiz- und Strafrechtsexpert:innen im Justizausschuss

Nachdem im ersten Teil des Expert:innenhearings zum „Rechtsstaat & Antikorruptionsvolksbegehren“ heute im Justizausschuss Verfassungsfragen zur Debatte standen (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 47/2023), ging es im zweiten Teil vorwiegend um strafrechtliche Aspekte und um das Thema einer Generalstaatsanwaltschaft bzw. um das Weisungsrecht der Justizministerin gegenüber den Staatsanwaltschaften. Es war zugleich der erste Justizausschuss und das erste öffentliche Expert:innenhearing eines Ausschusses des Nationalrats im neu sanierten Parlamentsgebäude.

Mit 72 Vorschlägen sprechen sich in dem Volksbegehren Bürger:innen für Reformen zu Anstand und Integrität in der Politik, zur Stärkung des Rechtsstaats und der Unabhängigkeit der Justiz bzw. der Ermittlungs- und Kontrollbehörden, für eine umfassende Antikorruptions- und Transparenz-Gesetzgebung sowie für Pressefreiheit, Medienförderung und gegen Inseratenkorruption aus. Österreich habe seit Jahrzehnten ein unübersehbares und strukturelles Problem mit Korruption, so die Stoßrichtung.

Insbesondere der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sei verfassungsgesetzlich die Unabhängigkeit einzuräumen sowie die Staatsanwaltschaften durch die Einführung einer Bundesstaatsanwaltschaft vom Justizministerium zu entkoppeln, lautet eine der Forderungen. Diese zielen unter anderem auch auf unabhängige und transparente Ernennungsverfahren bei Richter:innen und Staatsanwält:innen und auf einen „Rat der Gerichtsbarkeit“ ab (1626 d.B.).

ZADIĆ: LÜCKEN IM KORRUPTIONSSTRAFRECHT SCHLIESSEN

„Korruption ist Gift für die Demokratie“ und zerstöre das Grundversprechen, das die Demokratie leiste, hielt Justizministerin Alma Zadić fest. Dieses Grundversprechen sei, dass jeder und jede mit seiner/ihrer Stimme die Möglichkeit hat, zu gleichen Teilen mitzugestalten, und dass dieses Recht für alle gleich gilt. Daher müsse alles daran gesetzt werden, im Sinne einer „Generalsanierung“ Korruption zu bekämpfen.

Die zentralen Maßnahmen dabei umfassen aus Sicht der Justizministerin Transparenz und schärfere Korruptionsgesetze, wie etwa die Lücken im Korruptionsstrafrecht zu schließen, sowie eine effiziente, von Parteien unabhängige Strafverfolgung. Dazu sei es in den letzten Jahren gelungen, allein 100 zusätzliche Planstellen für Richter:innen und Staatsanwaltschaften vorzusehen, um die Strafverfolgung effizienter zu gestalten.

Im Korruptionsstrafrecht ist es der Ministerin zufolge nunmehr gelungen, hinsichtlich Mandatskauf oder Kandidatenbestechung Lücken zu schließen. Zudem würden die Strafen verschärft; etwa würden Verbandsstrafen jetzt verdreifacht. Durch die Maßnahmen im Parteiengesetz habe der Rechnungshof seit 1. Jänner nun auch die Möglichkeit, in alle Parteikassen Einschau zu halten. Das erwähnte Zadić als wichtigen Schritt für mehr Transparenz. Dazu zähle auch die Veröffentlichung aller Studien oder etwa auch die transparentere Gestaltung der Bestellung des/der Präsident:in des Obersten Gerichtshofs.

Es gelte, die Möglichkeit der parteipolitischen Einflussnahme in allen Bereichen der Justiz hintanzuhalten, so die Justizministerin. Dazu gehöre auch eine Reform der Staatsanwaltschaften, für die sie es als wichtig erachte, dass ein Kollegialorgan an der Spitze stehen soll.

EMPFEHLUNGEN DER EXPERT:INNEN FÜR STRAFRECHT UND ANTIKORRUPTION

Als einer der fünf geladenen Expert:innen dieses Themenblocks beleuchtete Peter Lewisch, Universitätsprofessor am Institut für Strafrecht der Universität Wien, einige der Forderungen des Volksbegehrens. Manche seien positiv zu sehen, manche haben aus seiner Sicht eher „moralisierenden Charakter“. Was eine Bundesstaatsanwaltschaft betrifft, erachte er Senatsentscheidungen als „unglücklichen Weg“. Darüber hinaus sprach sich Lewisch etwa für einen Kostenersatz bei Freispruch und Einstellung, aber gegen eine eigene WKStA-Polizei aus. Handlungsbedarf ortet er etwa im Hinblick auf lange und überlange Verfahren sowie bei der Erleichterung der Durchgängigkeit zwischen juristischen Berufen.

Was die Reform des Korruptionsstrafrechts betrifft, könne er etwa anerkennen, dass zur sogenannten Amtswerberbestechung ein sachgerechter, politischer Kompromiss gefunden worden sei, so Lewisch. Index-Untersuchungen zur Korruption halte er insofern für fragwürdig, als sie einen „Wahrnehmungsindex“ darstellen würden.

Alois Birklbauer, Universitätsprofessor und Leiter des Instituts für Strafrechtswissenschaften der Johannes Kepler Universität Linz sieht im aktuellen Korruptions-Reformpaket einen wichtigen Schritt. Wichtig sei aus seiner Sicht aber auch, den Zugang zum Recht noch weiter zu erleichtern. Aus seiner Sicht ließe sich darüber diskutieren, dass die Kriminalpolizei dem Innenministerium untersteht. Im Sinne der Transparenz nannte er unter anderem die Medienarbeit und entsprechende Ressourcen der Justiz.

Der Rechtsanwalt und frühere Staatsanwalt Volkert Sackmann sprach sich hinsichtlich der Staatsanwaltschaftsspitze dafür aus, das Weisungsrecht und Berichtswesen abzuschaffen, zumal auch Richter:innen keine Weisungen bekommen würden. Das mehrstufige Berichtswesen stelle sich nicht nur als intransparent dar, sondern erfolge auch nur bei Personen von öffentlichem Interesse, ortet Sackmann eine Zweiklassenjustiz. Auch die Besetzungen innerhalb der Justiz sollten aus seiner Sicht transparenter werden. Sobald es um höhere Positionen gehe, meinte er, „weiß man schon, wen man haben will“. Den „gesellschaftlichen Tod“ könne die mediale Berichterstattung für Menschen bedeuten, wenn etwa aus Akten zitiert werde. Er habe sich immer als Gegner davon positioniert, dass Medien aus Ermittlungsverfahren berichten dürfen.

Der ehemalige Leiter der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft und ein Proponent des Volksbegehrens, Walter Geyer, kritisierte ähnlich wie sein Vorredner das Berichtswesen in den Staatsanwaltschaften und nannte es den „Kern der Sache“, ob selbige Teil der unabhängigen Justiz oder Teil der Verwaltung sein sollen. Ein diesbezüglicher Standard sei bei der Europäischen Staatsanwaltschaft gesetzt worden, die mittlerweile in Österreich tätig sei und sich mit finanziellen Delikten zum Nachteil der EU befasse. Die Kontrolle dort sei dahin verlagert worden, wo sie hingehöre, und funktioniere in Form einer internen Kontrolle in erster Instanz, geprägt durch Kammern. Dazu gebe es auch kein Interrogationsrecht durch Abgeordnete und eine flache Hierarchie.

Ingeborg Zerbes, Universitätsprofessorin und stellvertretende Leiterin des Instituts für Strafrecht der Universität Wien, hob unter anderem aus der Reform des Korruptionsstrafrechts jene Änderungen hervor, die die Kandidatenbestechung und die Anhebung der Strafandrohungen bei Mandatskauf betreffen. Anständigkeit in der Politik lasse sich nicht „herbeistrafen“, so Zerbes, wobei sie dem Entwurf grundsätzlich eine Ausarbeitung „mit großem Fingerspitzengefühl“ einräumte. Nachschärfungsmöglichkeiten sieht sie etwa bei der Definition einer „vergleichbaren Position“ im Sinne der Kandidatenstellung, wie beispielsweise von Minister:innen. Was den Punkt der Kandidatenbestechung betrifft, halte sie es wie vorgesehen außerdem für sinnvoll, jene Fälle auszuklammern, in denen der zu wählende Status nie erreicht werde.

KREUTNER: „BOHREN DER DICKEN BRETTER“ WEITER BETREIBEN

Anti-Korruptionsexperte Martin Kreutner und Mit-Initiator des Volksbegehrens bekräftigte, dass das Strafgesetz nur die „Ultima Ratio“ darstelle. Was eine „Justizpolizei“ betrifft, sei man auch intern nicht einer Meinung gewesen. Das Berichtswesen bei den Staatsanwaltschaften zu reduzieren wäre auch eine der Forderungen des Volksbegehrens, ebenso wie ein Kostenersatz bei Freispruch. Die Staatsanwaltschaften seien im Sinn der „Trias der klassischen Gewalten“ ein Teil der Gerichtsbarkeit, so Kreutner, der außerdem zur Europäischen Staatsanwaltschaft darauf hinwies, dass es in Österreich Zustimmung zu deren Einrichtung mit Kollegialcharakter gegeben habe. Zumindest hielte er eine Selbstverpflichtung im Bereich der Staatsanwaltschaft, nicht parteipolitisch zu agieren, für sinnvoll. Er appellierte an alle, das „Bohren der dicken Bretter“ im Sinne der Anti-Korruptionsmaßnahmen jedenfalls weiter zu betreiben.

STATEMENTS DER ABGEORDNETEN ZU ZENTRALEN THEMEN

Was eine Bundesstaatsanwaltschaft betrifft, befinde man sich in konstruktiven Gesprächen, meinte seitens der ÖVP etwa Klaus Fürlinger. Zu klären gelte es jedenfalls, wie weit man mit Änderungen dem Bauprinzip der Verfassung Rechnung trage. Zur Veröffentlichung von Verfahrensdaten bemängelte er etwaige „mediale Hinrichtungen“, bevor es überhaupt eine Entscheidung zur Anklage gebe. Hinsichtlich Kostenersatz könne es Fürlinger zufolge nicht sein, dass jemand trotz Freispruchs den Rest seines Lebens Verfahrenskosten zu bezahlen hat. Christian Stocker (ÖVP) sieht etwa beim Thema Bundesstaatsanwaltschaft „zwei Seiten der Medaille“. Der Schutz vor ungerechtfertigter Einflussnahme sei ein berechtigtes Anliegen und eine Notwendigkeit. Der „kollegiale“ Charakter überzeuge ihn jedoch nicht.

Die bisherige Aufklärungsarbeit hätte man ohne die Medienberichterstattung niemals in Angriff nehmen können, betonte demgegenüber Selma Yildirim (SPÖ). Zudem würden die Angriffe auf die Justiz nicht aufhören, bemängelte sie. Außerdem müsse der Justiz den neuen Gesetzen entsprechendes Personal und Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden. Wie internationale Organisationen Österreich bewerten, nehme sie sehr ernst, und halte Kritik daran für unangebracht. Zur Aufdeckung und Verfolgung von Korruption sollte endlich auch die Whistleblower-Richtlinie umgesetzt werden. Christian Drobits (SPÖ) sieht zwar einiges an guten Schritten gesetzt. Für das Vertrauen als zentrale Währung der Demokratie müssten die Probleme allerdings weiter „an der Wurzel“ angepackt werden.

Jedenfalls brauche es in der „Bestimmtheit“ klare Regeln, damit es nicht zu überlangen Ermittlungsdauern kommt, meinte Susanne Fürst (FPÖ). Staatsanwält:innen müssen ohne Einflussnahme arbeiten können, so Fürst, die zwar kein Problem mit der Weisungsspitze im Ministerium habe, außer, der/die jeweilige Minister:in agiere politisch. Wenn es durch Vorverurteilungen verunmöglicht werde, unvoreingenommen zu ermitteln, sehe sie das nicht als konstruktiven Journalismus an, meinte sie unter anderem zu diesem Thema. Die Greco-Berichte zu Korruption sehe sie kritisch und sprach von „weltfremden“ Vorschlägen. Zum Kostenersatz betreffend Verfahren gebe es offenbar völlige Einigkeit, merkte Harald Stefan (FPÖ) an. Das Thema Mandatsverlust bei bedingter Verurteilung halte er im Hinblick auf die Machtbalance zwischen Justiz und Legislative für problematisch. In diesem Zusammenhang wies er auch auf ein – aus seiner Sicht mangelndes Selbstbewusstsein des Parlaments hin, das zunehmend zum „Erfüllungsgehilfen“ der Exekutive geworden sei.

Für das Ziel einer entpolitisierten Spitze der Staatsanwaltschaften wies Agnes Sirkka Prammer (Grüne) auf den entsprechenden Bericht aus dem Arbeitsprozess hin, der eine gute Anleitung gebe. Sie zeigte sich überzeugt, im politischen Prozess zu einer guten Lösung zu finden. Auch sonst seien viele Zwischenlösungen für Teilbereiche bereits geschaffen. Was die Whistleblower-Richtlinie betrifft, kündigte sie an, dass die Materie in Form eines Hinweisgeberschutzgesetzes bereits nächste Woche im Ausschuss verhandelt werden soll.

Für Johannes Margreiter (NEOS)ist es „erfreulich“, dass im justiziellen Bereich an den Forderungen, etwa im Hinblick auf die Weisungsspitze der Staatsanwaltschaften, gearbeitet werde. Im Entwurf für Änderungen im Strafgesetzbuch sei ihm aber etwa der Begriff von Kandidat:innen für ein Amt zu wenig weitreichend. Zu bedenken gab Margreiter etwa auch, dass im Gegensatz zum früheren Briefgeheimnis nunmehr ohne Schutz für höchst private Inhalte Handys beschlagnahmt würden. Man werde sich den Problemen ohne Scheu stellen müssen, auch wenn das bedeute, die Verfassung anzutasten. Aus seiner Sicht sollten Staatsanwält:innen klar als Organe der Gerichtsbarkeit anerkannt werden. Insgesamt sehe er mit Zuversicht weiteren Diskussionen entgegen.

Die Beratungen über das Volksbegehren im Ausschuss wurden mit diesem Expertenhearing abgeschlossen. Die Debatte im Nationalrat soll in einer der nächsten Sitzungen erfolgen. Das gesamte Hearing wurde via Livestream übertragen und ist als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments abrufbar. (Schluss Justizausschuss) mbu

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