„Österreich“ übernimmt Privatfotos von Social Media Accounts
„Österreich“ übernimmt Privatfotos von Social Media Accounts
Nach Ansicht des Senats 1 verstoßen die Artikel „Liebespaar in Wohnung erstochen“ sowie „2 Messer-Tote: Frau schnitt Opfer Kehle durch“, erschienen am 28.02. bzw. am 01.03.2022 in der Tageszeitung „Österreich“, gegen mehrere Punkte des Ehrenkodex für die österreichische Presse.
_- ZU DEN BEITRÄGEN:__ _
Im Artikel „LIEBESPAAR IN WOHNUNG ERSTOCHEN“ hieß es, dass zwei Leichen in einer Wohnanlage entdeckt worden seien (im Artikel wurde die genaue Adresse angeführt, Anm.): Die Mutter eines behinderten Buben sei tot in ihrer Küche gelegen, der Freund im Wohnbereich, beide hätten Schnittverletzungen aufgewiesen. Tatwaffe solle ein Küchenmesser gewesen sein. Im Artikel wurde die Fragen aufgeworfen, ob XXX ihren Freund getötet und sich anschließend selbst das Leben genommen habe, ob es vielleicht umgekehrt gewesen sei oder ob doch noch ein Dritter als möglicher Täter ins Spiel komme. Die Staatsanwaltschaft habe die Obduktion der beiden Leichen angeordnet und erhoffe sich hierdurch nähere Erkenntnisse. Dem Artikel waren u.a. zwei Portraitfotos der Verstorbenen beigefügt, wobei lediglich die Augenpartie grobkörnig verpixelt war.
Im Artikel „2 MESSER-TOTE: FRAU SCHNITT OPFER KEHLE DURCH“ wurde sodann berichtet, dass die Tatverdächtige ihren Geliebten wohl aus Eifersucht erstochen und Suizid begangen habe. Nach dem vorläufigen Obduktionsergebnis soll XXX ihren um zwei Jahre älteren geliebten YYY in ihrer Wohnung mit einem Messer die Kehle durchgeschnitten haben (auch hier wurde die genaue Adresse angeführt). Anschließend wurde detailliert beschrieben, auf welche Art und Weise die Tatverdächtige Suizid begangen habe. Das Motiv sei Eifersucht gewesen; der Mann soll es in Beziehungsfragen nicht allzu genau genommen haben, weshalb es zwischen dem Paar schon häufiger zum Streit gekommen sein solle. Dem Artikel waren ebenfalls Portraitfotos beigefügt, wobei die Augenpartie des Opfers grobkörnig verpixelt, die Augenpartie der Tatverdächtigen hingegen mit einem schwarzen Balken versehen wurde.
– _ZUM BESCHWERDEVERFAHREN:_
Die Beschwerdeführerin ist die Tochter der in den Beiträgen genannten Tatverdächtigen. In der schriftlichen Beschwerde wurde zunächst die Nennung der genauen Adresse (inklusive der Stiegen- und Türnummer) kritisiert. Weiters brachte sie vor, dass das Medium die Portraitbilder in den Beiträgen ohne Einwilligung der Angehörigen aus den sozialen Medien übernommen habe, zumal die Verpixelung unzureichend sei. Schließlich wurde auch die Suizidberichterstattung als überschießend kritisiert.
In der mündlichen Verhandlung brachte die Beschwerdeführerin ergänzend vor, dass sie nach der Veröffentlichung von zahlreichen Personen kontaktiert worden sei, die ihre Mutter auf den Fotos erkannt hätten.
Die Medieninhaberin der Tageszeitung „Österreich“ gab keine Stellungnahme ab und nahm auch nicht an der Verhandlung teil. In Anbetracht dessen stützte sich der Senat bei seiner Entscheidung allein auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin.
_- ZUR BEURTEILUNG DES SENATS:_
Zunächst betont der Senat, dass Berichte über Kriminalfälle grundsätzlich von Interesse für die Allgemeinheit sind, u.a. weil sie in gewisser Weise auch der Prävention dienen. Aus dem öffentlichen Interesse an einem konkreten Vorfall ergibt sich jedoch nicht, dass der Persönlichkeitsschutz der Opfer missachtet werden darf. Das Leid, das die Betroffenen und ihre Angehörigen erfahren, darf durch die Berichterstattung nicht vergrößert werden (vgl. Punkt 5.4 des Ehrenkodex für die österreichische Presse).
Der Senat schließt sich dem Beschwerdevorbringen an, dass die Betroffenen in den Artikeln für einen bestimmten Personenkreis identifizierbar waren: Dafür spricht zunächst, dass die genaue Adresse inklusive Haus- und Türnummer als Tatort genannt und auch ein Foto der Wohnanlage beigefügt wurden. Zudem wurden in den Artikeln die Vornamen, die Anfangsbuchstaben der Nachnamen und das Alter der Verstorbenen angeführt; zur betroffenen Frau wurde außerdem noch auf eines ihrer Kinder hingewiesen. Aufgrund all dieser Details ist – jedenfalls für einen größeren Personenkreis – von einer Identifizierbarkeit aufgrund der (bloßen) Wortberichterstattung auszugehen.
Den Artikeln wurden zudem Portraitbilder von den Verstorbenen beigefügt; dabei wurde die Augenpartien der Abgebildeten unkenntlich gemacht, ihr übriges Erscheinungsbild jedoch nicht bearbeitet. Nach Meinung der Senate des Presserats wäre es jedoch erforderlich gewesen, die Bilder auf eine Weise zu bearbeiten, dass die Abgebildeten darauf nicht mehr erkennbar sind. Im vorliegenden Fall waren sowohl die Frisuren der Abgebildeten als auch deren Mund- und Nasenpartien nach wie vor deutlich erkennbar, sodass der Senat von einer unzureichenden Anonymisierung ausgeht.
Im Sinne der bisherigen Entscheidungspraxis des Presserats sind die in den Artikeln veröffentlichten Portraitbilder geeignet, in den postmortalen Persönlichkeitsschutz der Abgebildeten und in die Trauerarbeit der Hinterbliebenen einzugreifen. Erschwerend kommt hinzu, dass die im Artikel veröffentlichten Fotos offenbar von den Social Media Accounts der Betroffenen übernommen worden, wie dies von der Beschwerdeführerin glaubhaft dargelegt wurde. Private Bildaufnahmen dürfen von einem Social Media Account nur dann übernommen werden wenn hierfür eine ausdrückliche Erlaubnis der Betroffenen oder Hinterbliebenen eingeholt wurde – dieser Grundsatz gilt speziell bei Accounts von Unfall- und Verbrechensopfern.
Im Artikel „2 Messer-Tote: Frau schnitt Opfer Kehle durch“ wurde zudem auch der Suizid der mutmaßlichen Täterin geschildert. Aufgrund der vorangegangenen Berichterstattung erkennt der Senat in der Bekanntgabe der Todesursache der Frau zwar ein öffentliches Interesse, womit die bloße Meldung über den Suizid nicht zu beanstanden wäre, die genaue Schilderung der Tötungsmethode bewertet der Senat jedoch als überschießend, v.a. wegen der Nachahmungsgefahr (Punkt 12 des Ehrenkodex). In dem Zusammenhang merkt der Senat kritisch an, dass sich im Artikel auch kein Hinweis auf Hilfsangebote für suizidgefährdete Personen findet.
Zusammenfassend hält der Senat fest, dass die beiden ARTIKEL GEGEN DIE PUNKTE 5 (PERSÖNLICHKEITSSCHUTZ) UND 6 (INTIMSPHÄRE) DES EHRENKODEX VERSTOSSEN, DER ARTIKEL „2 MESSER-TOTE: FRAU SCHNITT OPFER KEHLE DURCH“ ZUDEM GEGEN PUNKT 12 (SUIZIDBERICHTERSTATTUNG).
Der Senat stellt diesen Verstoß gemäß § 20 Abs. 2 lit. a VerfO fest. Da im vorliegenden Fall die Beschwerdeführerin als Hinterbliebene von der Berichterstattung persönlich betroffen ist und ein Schiedsverfahren durchgeführt wurde, muss die Entscheidung von der „Mediengruppe ‚Österreich‘ GmbH“ IN DER RUBRIK „ÖSTERREICH AKTUELL“ IN DER TAGESZEITUNG „ÖSTERREICH“ VERÖFFENTLICHT WERDEN.
Der Senat weist darauf hin, dass die Medieninhaberin dieser Vorgabe nicht fristgerecht nachgekommen ist. Die „Mediengruppe ‚Österreich‘ GmbH“ erkennt den Ehrenkodex des Österreichischen Presserats and und ist somit im Beschwerdeverfahren jedenfalls verpflichtet, den Ethikverstoß zu veröffentlichen. Die Veröffentlichungspflicht ist gemäß § 607 ZPO gerichtlich vollstreckbar.
BESCHWERDEVERFAHREN
_Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig. Im vorliegenden Fall führte der Senat 1 des Presserats aufgrund einer Beschwerde einer Betroffenen ein Verfahren durch (Beschwerdeverfahren). In diesem Verfahren ist der Presserat ein Schiedsgericht iSd. Zivilprozessordnung._
_Die Beschwerdeführerin sowie die Medieninhaberin der Tageszeitung „Österreich“ haben die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats anerkannt._
Tessa Prager, Sprecherin des Senats 1, Tel.: +43 – 1 – 23 699 84 – 11
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