Wissenschaft zwischen Córdoba und Waterloo – Vertrauen in Wissenschaft gehört gestärkt

Wissenschaft zwischen Córdoba und Waterloo – Vertrauen in Wissenschaft gehört gestärkt

Die Ambivalenz der Bevölkerung zum Thema Wissenschaft zeigte eine Meinungsumfrage bei der PRAEVENIRE Pressekonferenz. Expert:innen sehen Handlungsbedarf.

Der „Sichtweise der Österreich:innen zum Thema „Wissenschaft“ widmete sich eine Pressekonferenz der PRAEVENIRE Initiative „Wissenschaft für die Menschen“ am 11. Oktober im Billrothhaus in Wien. Präsentiert wurden die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von mehr als 1.000 Österreicher:innen aller Alters- und Bildungsstufen durch die Spectra Marktforschungsgesellschaft unter Leitung von Dr. Walter Wintersberger. Zwar vertraut die Bevölkerung quer über alle Regionen und Bildungsstandards mehrheitlich Wissenschaft und Forschung (deutlich mehr als renommierten Medien, der Politik oder alternativen Medien), allerdings gibt es auch Zweifel an Ehrlichkeit und Integrität von Wissenschafter:innen. Unmittelbarer Anlass für die PRAEVENIRE Initiative, das Meinungsbild der Österreicher:innen detailliert abzufragen, war die Erkenntnis im heurigen Frühjahr, dass die Menschen zunehmend das Vertrauen in die Wissenschaft verloren haben, wie PRAEVENIRE Präsident Dr. Hans Jörg Schelling in seiner Grußbotschaft ausführte.

DIE SICHTWEISEN DER ÖSTERREICHER:INNEN

Als Themenbereich, der jetzt angegangen werden muss, sahen die Befragten aller Altersgruppen Fragen der Gesundheit und Gesundheitsvorsorge auf Platz eins (vor Fragen der Demokratie, sozialen Gerechtigkeit und Sicherheit sowie Wirtschafts- und Finanzfragen, Arbeitsplätze). Einzig die Jugend (15-29 Jahre) gab dem Bereich Umwelt einen fast ebenso hohen Stellenwert. Durchaus bewusst sind sich die Österreicher:innen (79 %) der Studie zufolge auch der Bedeutung evidenzbasierter Entscheidungen als Basis für Wohlstand, Sicherheit und Gesundheit in der Gesellschaft und für nachfolgende Generationen (nur 4 % stimmten dieser Aussage nicht zu). Als demokratiepolitisch relevant eingestuft wurde (88 % Zustimmung) von den Befragten, dass Bürger:innen in der Lage sind zwischen zuverlässigen Informationen und Fake News zu unterscheiden. Als die zuverlässigsten Grundlagen zur Unterscheidung zwischen wahren und falschen Informationen erachten die Österreicher:innen mit 71 % logisches Denken und ihren Hausverstand, gefolgt von der persönlichen Lebenserfahrung (52 %). Wissenschaftliche Erkenntnisse, veröffentlichte und bekannte wissenschaftliche Untersuchungen und Analysen sehen nur 48 % als Grundlage. Weit abgeschlagen, rangieren journalistisch aufbereitete Berichte in Zeitungen, Radio, Fernsehen oder Online-Zeitungen mit gerade einmal 25 %. Alternative Informationen jenseits der großen Mainstream-Medien im Internet, erachtet die Gesamtbevölkerung zu 17 % als Quelle, wobei hier die junge Bevölkerung mit 25 % doch deutlich mehr auf solche Quellen setzt.

Als die vertrauenswürdigsten Expert:innen bei Gesundheitsfragen wurden mit 77 % Hausärzt:innen, gefolgt von Fachärzt:innen, genannt. Am untersten Ende rangieren bei dieser Frage die Politik (10 %). Klar zum Ausdruck kam, dass die Befragten es als wichtig ansehen, dass sich die Jugend mit dem Thema Wissenschaft und Forschung auseinandersetzt (69 %) und Wissenschaft und Forschung helfe, in Zukunft chronische Erkrankungen und Krebs zu heilen/besser behandeln zu können (66 %).

Als Gründe für die Wissenschaftsskepsis wurde von den Befragten neben dem Zweifel an Ehrlichkeit u. a. ins Treffen geführt, dass Ergebnisse verzerrt dargestellt oder zurückgehalten werden, Forschung käuflich, fremdgesteuert sei und nicht alle Wissenschafter:innen gleicher Meinung seien und sich wissenschaftliche Erkenntnisse sich ändern und widerlegt werden können. 

TRANSPARENZ IN DER WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION

Einig waren sich die hochkarätigen Podiumsgäste Dr. Hannes Androsch, Dr. Beatrix Volc-Platzer, Univ.-Prof. Christoph Huber, Dr. Eva Höltl und Univ.-Prof. Dr. Hannes Stockinger in der anschließenden Diskussion, dass es großzügige Investitionen in Bildung und Wissenschaft bedürfe und eine Steigerung von Transparenz in der Wissenschaftskommunikation dringend geboten sei.

„Im Augenblick sind wir Österreicher:innen stolze Nobelpreisträger — das ist quasi ein Córdoba-Effekt für die Wissenschaft“, formulierte pointiert Hannes Androsch die aktuelle Stimmungslage seit der Bekanntgabe des Physiknobelpreises für den Quantenphysiker Anton Zeilinger. Allerdings sei dieser Effekt sehr kurz. Zudem verwies er darauf, dass Bildung frei mache und ein Mangel daran sei Ursache für den weltweiten Rückgang der demokratischen Gesellschaften. Zudem gebe es eine Korrelation von hohem Bildungsniveau, Forschergeist und der Wirtschaftsdynamik eines Landes, wie internationale Innovationsrankings zeigen.

Die Interdisziplinarität in der Zusammenarbeit sei in der Forschung — gerade im Gesundheitsbereich — wichtig, betonte Dr. Beatrix Volc-Platzer, Präsidentin der Gesellschaft der Ärzte in Wien. Ein Prinzip, das speziell bei der Gesellschaft der Ärzte in Wien Tradition hat, da diese Institution aus dem Zusammenschluss der Internisten, Chirurgen und praktischen Ärzten vor 185 Jahren entstanden ist, zur Bekämpfung der damaligen Seuchen wie Cholera und Typhus. Das Vertrauen in die Wissenschaft im Bereich der Gesundheit nehme mit dem Alter zu, daher sei es wichtig, die Jugend bei diesem Thema abzuholen, erklärte Volc-Platzer.

Das deutsche Wissenschaftsbarometer zeigt, dass die Bevölkerung im Nachbarland zu 70 % der Wissenschaft vertrauen, wenn sie Basis für Entscheidungen ist, aber auf die Frage, ob sich Wissenschaft in die Politik und alltägliche Entscheidungen einmischen soll, sagen 40 % explizit „nein“ – das sei nicht ihre Rolle, so Dr. Eva Höltl, Leiterin des Health Centers der Erste Group Bank AG und Mitinitiatorin der Initiative „Österreich impft“. Daher sei es relevant, auf dem gemeinsamen Konsens der Wichtigkeit von Wissenschaft als Entscheidungsgrundlage aufzubauen und sich zu überlegen, welche Rolle in der Kommunikation in Zusammenspiel zwischen Expertenmeinung und Entscheidung die Medien spielen. Klar gezeigt hat die Befragung, dass man zwar Expert:innen glaubt, aber keinen, die in Regierungsexpertenkreisen mitwirken.

Die Rahmenbedingungen von Wissenschaft sprach Univ.-Prof. Dr. Christoph Huber, Co-Founder von BioNTech an. Hier sei es so, dass Erklärungen nur bedingt von entschlossenen Taten gefolgt werden. Man könne wesentlich mehr in Bildung und Forschung investieren, als es in Österreich üblich sei, wie internationale Beispiele zeigen. Investitionen könne man losgelöst von Gewinnstreben sehen und dennoch lohne es sich binnen Jahrzehnten – alle Länder, die in diesen Bereich investiert haben, profitierten, so Huber. Hier bestehe im internationalen Vergleich ein großer Nachholbedarf in Österreich.

Ein konkretes Projekt, wie man den Menschen Wissenschaft niederschwellig näherbringen kann, präsentierte Univ.-Prof. Dr. Hannes Stockinger, Präsident des Verbands der wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs. Unter dem Titel „Wissenschaft im Wirtshaus“ bietet er gemeinsam mit den Partnern Land Niederösterreich und dem Verein Wissensdurst Wissensvermittlung zu populären Themen wie „Volkskrankheit Allergie“ und „Wasser und Gesundheit“ in Niederösterreich an. 

ÜBER PRAEVENIRE

Der gemeinnützige Verein PRAEVENIRE — Gesellschaft zur Optimierung der solidarischen Gesundheitsversorgung bietet mit zahlreichen Veranstaltungen wie den Gesundheitstagen im Stift Seitenstetten, den Gesundheitsgesprächen in Alpbach oder Gipfelgesprächen in Wien eine unabhängige Plattform, um wichtige gesundheitspolitische Themen und Fragen zur Gesundheitsversorgung zu diskutieren und Lösungsvorschläge sowie Handlungsempfehlungen für die Politik und Entscheidungsträger im Gesundheitswesen auszuarbeiten. Bei allen Überlegungen steht immer die Patientin, der Patient im Mittelpunkt.

Im Sommer 2021 wurde die PRAEVENIRE Initiative „Wissenschaft für die Menschen“ der Öffentlichkeit vorgestellt, im Rahmen derer der Verein PRAEVENIRE der Bevölkerung komplexe medizinische Informationen niederschwellig, einfach und verständlich näherbringt. Damit soll der Bevölkerung die Möglichkeit geboten werden, das eigene Gesundheitswissen und somit die Gesundheitskompetenz zu steigern. 

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