TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: “Einreiseverbot wäre Geschenk für Putin”, von Gabriele Starck
TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: “Einreiseverbot wäre Geschenk für Putin”, von Gabriele Starck
Ausgabe vom Montag, 22. August 2022
Innsbruck (OTS) – Die Strafmaßnahmen wegen der Invasion in der Ukraine verschärfen und generell keine Russen mehr in die EU lassen? Die Sanktionen lockern, um die Teuerung abzufedern? Beide Forderungen sind viel zu kurz gedacht.
Der Krieg schürt Emotionen und je näher man dem Grauen ist, desto heißer läuft der Mensch. Je weiter weg, desto kühler wägt er ab zwischen der Solidarität mit den Kriegsopfern und dem Verzicht, den man für diese zu bringen bereit ist. Genauso verhält es sich mit den aktuellen Diskussionen in der EU über die Sanktionspolitik.
Dass ehemalige Ostblockstaaten den Druck auf Russland massiv erhöhen wollen, ist nachvollziehbar – angesichts der Nähe zur Ukraine, ihrer Vergangenheit und der tief sitzenden Sorge, der Kreml könnte auch sie im Visier haben. Dafür schwindet die Akzeptanz der schon bestehenden Strafmaßnahmen in Österreich und Deutschland wegen der Teuerung, die der Bevölkerung zu schaffen macht. Doch eine Lockerung der Sanktionen wäre ebenso ein Fehler wie das von Nord- und Osteuropäern geforderte generelle Einreiseverbot für Russen. Wladimir Putin und seine Günstlinge für den völkerrechtswidrigen Einmarsch in der Ukraine abzustrafen, ist richtig – wenn schon nicht aus Solidarität, dann im eigenen Sicherheitsinteresse. Es geht um Freiheit, Demokratie und Frieden. Nebenbei gesagt sind Sanktionen und Gaslieferbremse mitnichten allein für die Teuerung verantwortlich. Glaubt jemand ernsthaft daran, dass Putin den Gashahn wieder voll aufdreht, wenn Europa die Sanktionen lockert oder sogar aufhebt? Nein, er würde als nächsten Erpressungsschritt den Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine einfordern, dann das Aus für die humanitäre Hilfe usw. Ihm den Vernichtungskrieg in der Ukraine durchgehen zu lassen, wäre zudem eine Einladung, seine Expansionspläne für die Wiederaufstehung eines Reichs nach sowjetischem Vorbild zu verwirklichen. Und keine Sorge, Putin benötigt Geld, gerade wegen der Sanktionen. Ganz abdrehen wird er das Gas also auch nicht.
Auf der anderen Seite nicht nur den Putin-Freunden, sondern allen Russen die Einreise nach Europa zu verwehren, wäre ein willkommenes Geschenk für den Kreml-Chef. Denn es bestärkte dessen Erzählung von einer Verschwörung des Westens gegen Land und Leute. Die Menschen im größten Staat der Erde haben nur noch sehr beschränkt Zugang zu unabhängigen Nachrichten. Kritik am Vorgehen in der Ukraine wird mit Hausarrest bzw. Haft geahndet, der Begriff Krieg ist bei Strafe verboten. Dieses Informationsdefizit und die Propaganda-Maschinerie Putins sorgen dafür, dass sich der Präsident der Unterstützung der Mehrheit sicher sein kann. So gesehen müsste sich Europa also über russische Besucher freuen. Denn diese könnten dann in ihrer Heimat dem Schwarz-Weiß-Bild des Kreml Grau- und Beigestufen hinzufügen.
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