TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Montag, 15. November 2021, von Alois Vahrner: „Ein Lockdown auf dünnem Eis“
TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Montag, 15. November 2021, von Alois Vahrner: „Ein Lockdown auf dünnem Eis“
Innsbruck (OTS) – Mit dem heute über Nacht in Kraft getretenen Lockdown für Ungeimpfte wollen Bund und Länder die noch immer zu niedrige Impfquote deutlich erhöhen. Zu hoffen ist, dass dieser Zweiklassenkurs bald beendet werden kann.
Den einen gehen die Schritte viel zu weit, für die anderen sind sie noch immer viel zu halbherzig: Die gestern von der türkis-grünen Bundesregierung verhängten Corona-Sofortmaßnahmen sorgten jedenfalls auch für viel Kritik aus der Opposition und von Experten.
Corona und seine Folgen in verschiedensten Bereichen sind seit mittlerweile eindreiviertel Jahren für alle im Land eine große Belastung, der Umgang mit der Pandemie spaltet leider auch zunehmend die Gesellschaft. Was angesichts der besorgniserregenden Infektionszahlen freilich unumstritten war, ist, dass die Politik reagieren musste. Die Ärztekammer warnte zuletzt (wie auch schon im letztjährigen Herbst) eindringlich vor einer Überlastung der Spitäler und Intensivstationen. Es drohe die Triage, bei der Ärzte entscheiden müssen, wer überhaupt noch behandelt werden kann und wer seinem tödlichen Schicksal überlassen werden muss.
Die allermeisten Experten sind sich einig: Die Impfung schützt und funktioniert – wenn leider auch nicht zu 100 Prozent, weder vor der eigenen Infektion noch vor der Weitergabe. Jedenfalls schützt sie in den meisten Fällen vor schweren Verläufen. Die Inzidenz bei Ungeimpften liegt um ein Vielfaches höher als bei Geimpften, auch der Anteil jener, die in Intensivstationen landen.
Die Appelle der Politik fürs Impfen sind vielfach ungehört verhallt, seit Sommer wurde viel Zeit für Maßnahmen verschlafen. Erst als es an der Corona-Front regelrecht brannte, wurden einschneidende Maßnahmen ergriffen – von 3-G-Regeln in den Betrieben bis jüngst 2 G in Gastro, Hotels, bei Dienstleistern wie Friseuren oder bei Veranstaltungen. Und siehe da, die Impfquote ging nach oben.
Echte Entspannung ist dadurch aber so schnell keineswegs in Sicht, leider auch nicht durch die gestern verkündeten Maßnahmen, die jedenfalls eine weitere Zäsur bedeuten: Ein Lockdown mit massiven Verschärfungen wie Ausgangsbeschränkungen nur für Ungeimpfte soll und wird den Impf-Druck weiter massiv erhöhen. Er schafft jetzt aber für jeden sichtbar eine Art Zweiklassengesellschaft – und eine noch größere Spaltung. Um vor dem Höchstgericht Bestand zu haben, muss diese Zweiteilung fachlich und juristisch sehr gut begründet sein. Und gespannt muss man auch sein, ob die Kontrollen auf den Straßen oder vor den Geschäften funktionieren.
Es ist unsicher, aber im Sinne aller zu hoffen, dass kein neuer genereller Lockdown kommt. Und auch, dass die jetzige Zweiklassenregelung bald abgeschafft werden kann. Am besten nicht durch Druck, sondern doch die Einsicht, dass wir außer der Impfung nichts haben, um die Pandemie irgendwann hinter uns zu lassen.
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