Schiedsinstanz für Naturalrestitution mit Kenntnisnahme ihres Schlussberichts aufgelöst

Schiedsinstanz für Naturalrestitution mit Kenntnisnahme ihres Schlussberichts aufgelöst

Wien (OTS/Nationalfonds) – Der Hauptausschuss des Nationalrats hat am 29. Juni 2021 den Schlussbericht der Schiedsinstanz für Naturalrestitution einstimmig zur Kenntnis genommen. Damit ist die 2001 beim Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus eingerichtete Schiedsinstanz, die über Anträge auf Naturalrestitution von öffentlichem Vermögen entschieden hat, aufgelöst. Im Großen Redoutensaal der Hofburg überreichte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka dem Vorsitzenden der Schiedsinstanz, Universitätsprofessor Josef Aicher, und dem Schiedsinstanz-Mitglied Universitätsprofessor August Reinisch für ihre 20 Jahre ehrenamtlich geleistete Tätigkeit das österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse.

„Österreich stellt sich seiner historischen Verantwortung und Geschichte. Der heute vom Hauptausschuss des Nationalrats zur Kenntnis genommene Schlussbericht der Schiedsinstanz für Naturalrestitution dokumentiert eindrucksvoll die 20-jährige Tätigkeit dieses unabhängigen Entscheidungsgremiums sowie den Versuch, das beispiellose historische Unrecht des NS-Regimes anzuerkennen und ‚extrem ungerechte‘ Rückstellungsentscheidungen in der Nachkriegszeit zu korrigieren. Damit ist nicht nur eine völkerrechtliche Verpflichtung Österreichs erfüllt, sondern auch eines der größten Projekte der Zweiten Republik zur Restitution und Entschädigung nationalsozialistischen Vermögensentzuges abgeschlossen“, so der Nationalratspräsident und Vorsitzende des Kuratoriums des Allgemeinen Entschädigungsfonds, Wolfgang Sobotka, im Rahmen eines Empfangs im Parlament zu Ehren der Schiedsinstanz für Naturalrestitution.

Der Vorsitzende Josef Aicher erläuterte in seinen Worten vor dem Hauptausschuss, dass ursprünglich mit drei bis vier Jahren Tätigkeit gerechnet worden sei. Warum daraus schließlich 20 Jahre wurden, dafür seien mehrere Gründe maßgebend gewesen:

Zum einen sei die ursprüngliche Antragsfrist durch Gesetzesnovellen erheblich verlängert und durch eine Änderung der Geschäfts- und Verfahrensordnung die Möglichkeit einer Wiederaufnahme bei ablehnender Entscheidung geschaffen worden. Zum anderen sei der Schiedsinstanz bewusst gewesen, dass viele AntragstellerInnen – oftmals Kinder und Kindeskinder ehemals Verfolgter – kaum über die nötigen Nachweisdokumente verfügen würden: „Deshalb sah es die Schiedsinstanz als ihre Aufgabe, durch Recherche in in- und ausländischen Archiven jene Dokumente beizuschaffen, mit denen die Anspruchsvoraussetzungen nachgewiesen werden konnten. Diese Archivarbeiten und deren Auswertung nahmen nicht selten Monate in Anspruch und führten erfreulicherweise in einzelnen Fällen auch zum Erfolg.“

Schließlich sei das Verfahren vor der Schiedsinstanz „kontradiktorisch ausgestaltet gewesen, sodass der belangten Gebietskörperschaft das Recht auf Gegendarstellung einzuräumen war, was vor allem bei rechtsfreundlich vertretenen Antragstellern zu einem intensiven Schriftsatzwechsel führte.“ Nicht zuletzt musste die Schiedsinstanz um die Auslegung der Schlüsselbegriffe des Gesetzes wie „verfolgungsbedingter Entzug“ und „extreme Ungerechtigkeit“ bemüht sein. Gerade Letzteres habe die Schiedsinstanz nachhaltig beschäftigt.

August Reinisch schloss in seiner Dankesrede anlässlich der Ehrenzeichenverleihung daran an und betonte, „dass es bei der Aufgabe der Schiedsinstanz nicht um die erstmalige Rückstellung von während der NS-Zeit entzogenem Vermögen ging, sondern vielmehr um die Überprüfung der Entscheidungen der bei den Gerichten eingerichteten Rückstellungskommissionen, die im Wesentlichen in den späten 1940er bis in die 1960er Jahre gearbeitet haben. Es handelt sich somit primär um eine Art Metaebene, auf der durch eine zwischenstaatliche Schiedsinstanz die Entscheidungspraxis der österreichischen Rückstellungskommissionen zu überprüfen war. Die Einbeziehung von Vergleichen hat dabei zu einer ganz wesentlichen Erweiterung der potentiellen Antragsobjekte geführt, die ja grundsätzlich durch das Erfordernis zum Stichtag, am 17.1.2001 im öffentlichen Eigentum gestanden zu haben, sehr eingeschränkt waren.“

Hannah Lessing, Generalsekretärin des Allgemeinen Entschädigungsfonds, betonte die gute Zusammenarbeit der Mitglieder der Schiedsinstanz: „Nicht nur, dass sie die Umsetzung des Gesetzes mit herausragender juristischer Expertise und größter Sorgfalt bewerkstelligt haben. Sie haben auch alle Entscheidungen in sachlich-fokussierten, ruhigen Diskussionen mit gegenseitiger Wertschätzung stets gemeinsam und einstimmig gefasst. Es war wichtig, dass an eine so heikle historische Aufgabe mit so großer Sensibilität herangegangen wurde.“ Für Lessing sei es auch deshalb immer wieder eine Freude gewesen, Zeugin der Arbeitsweise der Schiedsinstanz werden zu dürfen, „weil sie von so tiefem Respekt vor der historischen Aufgabe getragen war. Nie haben sie aus den Augen verloren, dass hinter all den Anträgen und juristischen Fragestellungen Menschen stehen: Die Opfer, ihre Lebens- und Verfolgungsschicksale und ihre Familien.“

Washingtoner Abkommen und Schiedsinstanz für
Naturalrestitution

Im Jänner 2001 unterzeichneten in Washington, D.C. VertreterInnen der Republik Österreich, der USA und von NS-Opferorganisationen eine gemeinsame Erklärung. Dieses „Joint Statement“ war die Grundlage für das Abkommen zwischen Österreich und den USA zur Regelung von Fragen der Entschädigung und Restitution für Opfer des Nationalsozialismus, kurz „Washingtoner Abkommen“. Dieses sah unter anderem die Errichtung einer unabhängigen Schiedsinstanz für Naturalrestitution vor, die Anträge auf Rückstellung von Liegenschaften sowie von Vermögen jüdischer Gemeinschaftsorganisationen prüfen sollte.

2001 wurde die Schiedsinstanz beim Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus eingerichtet. Je ein Mitglied der Schiedsinstanz wurde von der Regierung der USA und der Regierung Österreichs nominiert. Der Vorsitzende wurde von diesen zwei Mitgliedern gewählt. Vorsitzender wurde Univ.-Prof. Josef Aicher; von amerikanischer Seite wurde Univ.-Prof. August Reinisch nominiert, von österreichischer Seite der ehemalige Botschafter Erich Kussbach.

Die Schiedsinstanz konnte die Restitution von in der NS-Zeit entzogenen Liegenschaften und Superädifikaten bzw. von beweglichem Vermögen jüdischer Gemeinschaftsorganisationen empfehlen, soweit diese am 17. Jänner 2001 im öffentlichen Eigentum standen. Dieses umfasste Eigentum des Bundes sowie jener Länder und Gemeinden, die sich dem Verfahren der Schiedsinstanz angeschlossen haben: die Stadt Wien, die Bundesländer Oberösterreich, Salzburg, Kärnten, Niederösterreich, Steiermark, Vorarlberg und Burgenland sowie die Gemeinden Bad Ischl, Eisenstadt, Frauenkirchen, Grieskirchen, Kittsee, Kobersdorf, Korneuburg, Mattersburg, Oberwart, Purkersdorf, Rechnitz, Stockerau, Vöcklabruck und Wiener Neudorf. Zudem haben die Stadtgemeinden Bad Vöslau und Schwechat die Schiedsinstanz ersucht, die Prüfung zweier Fälle vorzunehmen.

Die Schiedsinstanz hat in unveränderter personeller Zusammensetzung im Zuge von 136 Sitzungen über 2.307 Anträge abgesprochen und zu diesen 1.582 Entscheidungen erlassen. Die Antragsbearbeitung wurde am 30. November 2018 abgeschlossen, die letzte Frist für Anträge auf Wiederaufnahme lief Ende August 2020 ab. Der Gesamtwert der zur Rückstellung empfohlenen Vermögenswerte beläuft sich auf geschätzte 48 Millionen Euro, davon wurden 9,8 Millionen Euro als vergleichbarer Vermögenswert ausbezahlt.

Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus
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