TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Auf Abschreckung gebürstet“, von Manfred Mitterwachauer

TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Auf Abschreckung gebürstet“, von Manfred Mitterwachauer

Ausgabe vom Donnerstag, 20. August 2020

Innsbruck (OTS) – Die Standortanwaltschaft sieht Umweltorganisationen quasi als natürlichen Feind. Mit der angedachten Verfahrenskostenbeteiligung will sich die Wirtschaft selbige vom Leib halten. Die Corona-Krise kommt da gerade recht.

Türkis-Blau hat sie zur Welt gebracht, seit rund einem Jahr ist sie aktiv: die Standortanwaltschaft, verankert in der Wirtschaftskammer. Die damalige Koalition hat der Wirtschaft damit einen Gefallen getan. Hat sie doch auf diese Weise das so lange geforderte verfahrenstechnische Gegengewicht zu Umweltanwaltschaft und NGOs geschaffen. Zumindest im Falle von Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP). Jetzt, da die Corona-Krise das System in die Knie gezwungen hat, müssen Investitionen umso schneller fließen, um wieder auf die Füße zu kommen. Die Standortanwaltschaft wittert ihre Chance.
Vom Wirtschaftskammerpräsidenten Christoph Walser abwärts werden derzeit gebetsmühlenartig beschleunigte Genehmigungsverfahren für Großprojekte eingefordert. Das Ganze gipfelt in den Überlegungen der Standortanwaltschaft, anerkannte Umweltorganisationen an Verfahrenskosten zu beteiligen. Die einfache Formel: Je länger Behörden durch eingeforderte Gutachten und Einsprüche ermitteln, prüfen und abwägen müssen, desto teurer wird’s für die Beteiligten. WWF, Alpenverein oder das Transitforum sollen sich – im Gegensatz zum Projektwerber – mit Blick auf den eigenen Kontostand zweimal überlegen, ob es wert ist, alle per Gesetz offenstehenden Verfahrenswege zu beschreiten. So funktioniert Politik der Abschreckung.
Negiert bzw. offen bestritten wird dabei, dass UVP-Verfahren im Schnitt nach knapp elf Monaten erledigt sind – der Anteil der ablehnenden Bescheide bewegt sich laut aktuellem UVP-Bericht für Österreich im niedrigen einstelligen Bereich. Natürlich: Dass 2018 der positive UVP-Bescheid für die Liftverbindung Kappl-St. Anton nach Beschwerde von Umweltanwaltschaft und Alpenverein vom Bundesverwaltungsgericht gekippt wurde und dass die Projektanten der Gletscher-Ehe Pitztal/Ötztal in Erwartung eines wohl negativen UVP-Bescheids noch vor Verfahrensende die Reißleine ziehen mussten – dieser Stachel steckt der (Seilbahn-)Wirtschaft weiter tief im Fleisch. Ebenso wie der ÖVP.
Mit dem Vorstoß der Standortanwaltschaft sowie der Schützenhilfe aus den VP-Reihen will die Wirtschaft(skammer) offenkundig ihren künftigen Handlungsspielraum im Windschatten der Corona-Krise ausloten und adaptieren. Umwelt­organisationen und Umwelt­anwalt werden erneut ins Verhinderer-Eck gedrängt, die dem Credo „Investition first“ zuwiderlaufen. Was nicht passt, wird eben passend gemacht.

Tiroler Tageszeitung
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