Dieselskandal: Alle aktuellen Fragen und Antworten
Dieselskandal: Alle aktuellen Fragen und Antworten
Potsdam (ots) – Die Kanzlei Goldenstein & Partner hat im Mai 2020 das erste BGH-Urteil im VW-Dieselskandal erwirkt. Aktuell sind jedoch noch weitere Verfahren beim Bundesgerichtshof anhängig. Zudem befasst sich auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) noch in diesem Jahr mit illegalen Abschalteinrichtungen – auch von anderen Herstellern. Der Rechtsanwalt Claus Goldenstein beantwortet nachfolgend die wichtigsten Fragen zum Thema. Er ist Inhaber der Kanzlei Goldenstein & Partner (http://www.goldenstein-partner.de/), die mehr als 21.000 Mandanten in der Sache vertritt:
1. Womit befasst sich der Bundesgerichtshof (BGH)?
Seit dem BGH-Urteil vom 25. Mai ist endgültig klar, dass sich Volkswagen im Zuge des Dieselskandals haftbar gemacht hat und betroffene Kunden entschädigen muss. Diese haben Anspruch auf den ursprünglichen Kaufpreis sowie Verzugszinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung.
Die Höhe dieser sogenannten Nutzungsentschädigung berechnet sich aus dem Anteil der bisher zurückgelegten Kilometer an der maximalen Laufleistung jedes Fahrzeuges. Letztere wird in der Regel mit etwa 250.000 bis 350.000 Kilometern beziffert. Hat ein Auto also 150.000 Kilometer zurückgelegt und es wird eine Maximalleistung von 300.000 Kilometern angenommen, wird eine Nutzungsentschädigung von 50 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises von der Entschädigungssumme abgezogen. Der Kläger bekäme folglich nur die Hälfte des Kaufpreises.
Es orientieren sich sämtliche deutschen Amts-, Land- und Oberlandesgerichte an diesem Urteil. Doch einige Details wurden im Rahmen des Verfahrens noch nicht geklärt. Das liegt daran, dass diese Themen für unser BGH-Verfahren im Mai keine Relevanz hatten.
So wird sich der BGH in den kommenden Wochen unter anderem mit der Auszahlung von Deliktzinsen, den Rechtsansprüchen bei einem Autokauf nach Bekanntwerden des Dieselskandals und dem Thema Verjährung auseinandersetzen. Zudem wurde für Oktober auch ein mündlicher Verhandlungstermin im Daimler-Dieselskandal einberufen.
Auch Mercedes-Benz-Fahrzeuge wurden nämlich dahingehend manipuliert, dass diese im tatsächlichen Straßenbetrieb deutlich mehr Schadstoffe ausstießen als auf dem Prüfstand. Der BGH wird die Legalität dieser Abschalteinrichtungen bewerten. Der Dieselskandal könnte in diesem Jahr auch noch andere Autobauer einholen, weil nahezu alle Hersteller von Dieselfahrzeugen haben diese manipuliert haben.
2. Was ist der Unterschied zwischen Delikt- und Verzugszinsen?
Morgen befasst sich der BGH mit der Dieselskandal-Klage eines VW Golf-Halters. Das Oberlandesgericht Oldenburg sprach dem PKW-Besitzer in der Vorinstanz eine Entschädigung in Höhe des Kaufpreises zu – abzüglich eines Ausgleichs für die bisherige Nutzung. Soweit deckt sich das Urteil mit dem BGH-Urteil aus dem Mai.
Zusätzlich sprachen die Oldenburger Richter dem Kläger jedoch auch Deliktzinsen zu. Diese Zinsen in Höhe von 4 Prozent ab dem Tag der Kaufpreiszahlung können Klägern im Fall von Betrug oder sittenwidriger Handlung unter Umständen zugesprochen werden. Von Verzugszinsen unterscheiden sich Deliktzinsen insofern, dass Verzugszinsen erst ab Verzug gelten, dafür aber mit 5 Prozent über dem Basiszinssatz, aktuell 4,12 Prozent, etwas höher ausfallen. Nun muss der BGH klären, ob die Zahlung von Deliktzinsen im Dieselskandal rechtlich konform ist.
Es spricht jedoch nur wenig dafür, dass die Karlsruher Richter den Haltern von manipulierten Dieselfahrzeugen Deliktzinsen zusprechen werden. Dies deuteten die obersten Richter bereits im Rahmen einer anderen BGH-Verhandlung in der vergangenen Woche an. Deliktzinsen werden üblicherweise nur dann fällig, wenn ein Gegenstand aufgrund eines Betruges oder einer sittenwidriger Handlung nicht genutzt werden konnte, obwohl dafür bezahlt wurde. Das ist im Dieselskandal nur bedingt der Fall.
3. Haben VW-Halter Anspruch auf Schadensersatz, wenn sie ihren Diesel-PKW nach Bekanntwerden des Dieselskandals gekauft haben?
Morgen wird sich der BGH auch mit dem Fall eines Klägers befassen, der seinen PKW erst im August 2016 gekauft hatte – also fast ein Jahr, nachdem die Manipulationen von VW-Dieselfahrzeugen erstmals öffentlich wurden. Der BGH muss klären, ob Halter von manipulierten PKW auch dann Anspruch auf eine Entschädigung haben, wenn das Fahrzeug nach dem Bekanntwerden des Skandals gekauft wurde. Sollte der Bundesgerichtshof sich diesbezüglich verbraucherfreundlich positionieren, hätten zahlreiche weitere Besitzer von Dieselautos Anspruch auf Entschädigungen. Wir gehen davon aus, dass die ad hoc-Meldung von VW am 15.09.2015 nicht ausreicht, um sämtliche Käufer ausreichend über die Rechtsfolgen eines Kaufes zu informieren. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Karlsruher Richter hierzu positionieren werden.
4. Sind die Rechte von VW-Haltern bereits verjährt?
Im Zuge des VW-Dieselskandals verweist der Wolfsburger Autobauer insbesondere seit unserem BGH-Urteil aus dem Mai immer wieder darauf, dass die geltende Verjährungsfrist bereits abgelaufen sei und betroffene Halter ihre Rechte nicht mehr durchsetzen können. Das ist jedoch nicht korrekt.
Der BGH hat die Abgas-Manipulationen als eine sittenwidrige und somit illegale Handlung eingestuft. Im Fall von Betrug oder sittenwidriger Schädigung gilt in Deutschland grundsätzlich eine Verjährungsfrist von drei Jahren zum Jahresende ab Kenntnis sämtlicher Umstände der Täuschung.
VW argumentiert nun, dass betroffene Verbraucher spätestens 2016 vollständig über den Betrug Bescheid wussten. Damals informierte der Konzern die Halter von manipulierten VW-Dieselfahrzeugen schriftlich über die Eingriffe. Folglich wären die Rechte von betroffenen Haltern am 1. Januar 2020 verjährt.
Es ist jedoch äußerst fraglich, ob diese Argumentation von Volkswagen juristisch tragbar ist. Vielmehr könnte vermutet werden, dass VW rechtmäßige Entschädigungszahlungen einsparen will, indem der Konzern Verbraucher von ihrer Rechtsdurchsetzung abhält.
Tatsächlich ist der Dieselskandal selbst bis heute nicht vollständig aufgeklärt und die Volkswagen AG hat bis zuletzt bestritten, dass sie eine rechtlich unzulässige Abschalteinrichtung verwendet hat. Es ist daher sehr unwahrscheinlich, dass ein Verbraucher als technischer und rechtlicher Laie im Jahr 2016 mehr gewusst haben kann, als Volkswagen heute zu wissen vorgibt. Hierzu gehört vor allem die Kenntnis über die konkret verwendete Software sowie deren Wirkweise und rechtliche Einordnung. Davon hängt nämlich die Gebrauchsfähigkeit und das damit einhergehende Stilllegungsrisiko der betroffenen Fahrzeuge ab. Auch der entstandene Vermögensschaden war im Jahr 2016 kaum absehbar.
Ferner setzt die Kenntnis aller Umstände auch voraus, dass es eine gesicherte Rechtslage gibt. Diese gesicherte Rechtslage ist erst durch unser BGH-Urteil und damit im Jahr 2020 eingetreten. Zuvor waren die Land- und Oberlandesgerichte mehr als uneins darüber, ob Käufern ein Anspruch zusteht. Beispielsweise gingen die Sitzgerichte von VW – das Land- und auch das Oberlandesgericht Braunschweig – bis zuletzt davon aus, dass VW seine Kunden nicht getäuscht hat. Eine Rechtsauffassung, die der BGH – mit Recht – nicht teilt.
Zudem gehen auch zahlreiche Rechtsschutzversicherer davon aus, dass die Verbraucherrechte im VW-Dieselskandal noch nicht verjährt sind. Weiterhin decken diese daher die Kosten für aktuell eingereichte Klagen. Das ist insofern spannend, da einige Versicherer sich im Jahr 2016 teilweise noch weigerten, die Verfahrenskosten für Dieselskandal-Prozesse zu tragen. Es ist davon auszugehen, dass sich der Bundesgerichtshof in Karlsruhe spätestens im kommenden Jahr mit dem Thema Verjährung auseinandersetzen wird. Bislang wurde jedoch noch keine Verhandlung in der Sache terminiert.
5. Betrifft der Dieselskandal auch andere Autobauer?
Die gesamte Autoindustrie zittert aktuell vor einem Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH), das noch in diesem Jahr erwartet wird. Bislang wurde ein entsprechender Verkündungstermin jedoch noch nicht terminiert. Konkret sollen die obersten europäischen Richter feststellen, wann Abschalteinrichtungen in Dieselfahrzeugen illegal sind. Tatsächlich hat nämlich nicht nur Volkswagen seine Diesel-PKW manipuliert, sondern auch nahezu jeder andere Autobauer.
Da sich die Funktionen und Wirkungsweisen der verwendeten Abschalteinrichtungen jedoch von Hersteller zu Hersteller unterscheiden, soll nun höchstrichterlich geklärt werden, wann diese zulässig sind und wann nicht. Das EuGH-Urteil wird für sämtliche Legislativen innerhalb der EU relevant sein und könnte zu einer Rückruf- und Klagewelle führen.
Wir von Goldenstein & Partner sowie nahezu sämtliche Rechtsexperten gehen davon aus, dass die EuGH-Richter eine verbraucherfreundliche Entscheidung treffen und jede Abschalteinrichtung als illegal einstufen werden, wenn diese im Straßenbetrieb zu einem höheren Abgasausstoß führt als auf dem Prüfstand. Diese Auffassung vertrat die EuGH-Generalanwältin Eleanor Sharpston in ihrem Schlussantrag in der Sache Ende April 2020. Erfahrungsgemäß folgen die EuGH-Richter der Rechtsauffassung der Generalanwaltschaft in aller Regel.
Sollte dies auch in diesem Fall so sein, würde der Dieselskandal wohl fast alle Hersteller von Dieselfahrzeugen erreichen. Auch das häufig eingesetzte „Thermofenster“ würde dadurch als illegal eingestuft werden. Hinter dieser Begrifflichkeit steckt eine Abschalteinrichtung, welche die Abgasreinigung herunterfährt, sobald sich die Außentemperatur außerhalb eines gewissen Temperaturfensters befindet. Demnach halten betroffene Fahrzeuge die vorgeschriebenen EU-Umweltrichtlinien nur bei Temperaturen zwischen ungefähr 15 und 30 Grad ein. In Deutschland werden diese Grenzwerte in nahezu jedem Monat im Schnitt unter- oder überschritten.
Zahlreiche Autobauer – darunter BMW, Mercedes-Benz und Volvo – nutzen diese Thermofenster. Tests haben zudem ergeben, dass auch die manipulierten VW-Dieselfahrzeuge nach der Durchführung des verpflichtenden Software-Updates nur bei bestimmten Temperaturen tatsächlich sauber sind. Die jeweiligen Hersteller begründeten die Verwendung von Thermofenstern in der Regel mit dem Schutz der jeweiligen Motoren.
Dieser Auffassung widersprach die EuGH-Generalanwaltschaft jedoch. So seien Abschalteinrichtungen nur dann zu rechtfertigen, wenn unmittelbare Beschädigungsrisiken, die die Zuverlässigkeit des Motors beeinträchtigen und eine konkrete Gefahr bei der Lenkung des Fahrzeugs darstellen, vorhanden sind. Im Normalfall schützen Thermofenster jedoch lediglich vor dem Verschleiß oder der Verschmutzung des jeweiligen Motors.
Dadurch würde der Dieselskandal komplett neue Ausmaße annehmen. Allein in Deutschland sind mehrere Millionen Fahrzeuge mit eingebauten Thermofenstern oder anderen Abschalteinrichtungen zugelassen. Der gesamten Automobilindustrie drohen nun Rückrufs- und -Klagewellen sowie Strafen in Milliardenhöhe. Betroffene Halter können sich jedoch gegen diesen Betrug wehren.
Bislang sorgt unser BGH-Urteil für Fahrzeuge des VW-Konzerns, die mit dem Motor EA 189 ausgestattet sind, für Rechtsklarheit. Grundsätzlich lässt sich die Entscheidung aber in Folge des EuGH-Urteils auf sämtliche illegal manipulierten Diesel-PKW übertragen. Die Halter dieser Fahrzeuge hätten also endgültig Rechtssicherheit, wenn es vor diesem Hintergrund um die Forderung von Schadensersatz geht.
ÜberGoldenstein & Partner
Goldenstein & Partner ist die führende deutsche Rechtsanwaltskanzlei im Abgasskandal. Die Kanzlei vertritt insgesamt mehr als 21.000 Mandanten im Abgasskandal und ist unter anderem für das erste BGH-Urteil in der Sache verantwortlich. Auf www.goldenstein-partner.de (http://www.goldenstein-partner.de/) können Halter von DIeselfahrzeugen kostenfrei prüfen, ob sie Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung haben und die Kanzlei mit der Durchsetzung ihrer Rechte beauftragen. Goldenstein & Partner hat seinen Sitz in Potsdam und beschäftigt derzeit mehr als 70 Mitarbeiter. Die Kanzlei wird von dem Rechtsanwalt Claus Goldenstein geleitet.
Pressekontakt:
Nils Leidloff | nils.leidloff@golden-tech.de | +49.1603624735
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