„Die 90er Jahre“: Teil 5 der „Menschen & Mächte“-Serie „Jahrzehnte in Rot-Weiß-Rot“ am 22. Juni um 20.15 Uhr in ORF 2

„Die 90er Jahre“: Teil 5 der „Menschen & Mächte“-Serie „Jahrzehnte in Rot-Weiß-Rot“ am 22. Juni um 20.15 Uhr in ORF 2

Wien (OTS) – Mit der sechsteiligen „Menschen & Mächte“-Serie „Jahrzehnte in Rot-Weiß-Rot“ zeigt der ORF jeweils Montag um 20.15 Uhr in ORF 2 eine von Andreas Novak konzipierte Zeitgeschichte-Serie über Österreichs Alltags-, Politik- und Gesellschaftsgeschichte zwischen 1950 und den 2000er Jahren. Am 22. Juni steht Robert Gokls Dokumentation über „Die 90er Jahre“ auf dem Programm:
Jugoslawienkrieg, Flüchtlinge, EU-Beitritt, Briefbomben, Lichtermeer, Asylpolitik, Haider-Aufstieg, Groer-Rücktritt, Globalisierung, DJ Ötzi und „Anton aus Tirol“, ein Jahrzehnt in Schlagworten, ein Jahrzehnt der Gegensätze und der Polarisierung. In „Die 90er Jahre“ – ein Land zwischen der Sehnsucht nach Öffnung und der Angst vor Veränderung.

„Österreich hat dazu tendiert, Nabelschau zu betreiben!“, meint der ehemalige EU-Kommissar Franz Fischler. Österreich ist Anfang der 90er Jahre eines der reichsten Länder der Welt, und viele Österreicherinnen und Österreicher wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Gleichzeitig ist nach dem Ende des Eisernen Vorhangs klar, dass Europa sich grundlegend verändern wird. Schriftsteller Josef Haslinger: „Die Nachkriegsordnung ist zu Ende gegangen und damit eigentlich das 20. Jahrhundert.“ Wirtschaftlich profitiert Österreich von den Veränderungen, von Ostöffnung und EU-Beitritt.

Das Jahrzehnt beginnt mit Krieg im südlichen Nachbarland. „Er war vor unserer Haustüre, ein Bruderkrieg, das war so, als würden die Kärntner den Salzburgern den Krieg erklären“, meint der erfolgreichste Skispringer der 90er Jahre, Andreas Goldberger. Aus Jugoslawen werden nun Kroaten, Serben, Bosnier, Slowenen, Mazedonier, Montenegriner und Kosovaren. Die Vertriebenen kommen als Flüchtlinge nach Österreich. Gleichzeitig vollzieht sich die radikalste Wende in der Geschichtspolitik Österreichs. In seiner Regierungserklärung von 1991 relativiert Franz Vranitzky die seit 1945 zum Staatsdogma erhobene Opferthese. 46 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs gesteht ein Bundeskanzler erstmals die Beteiligung und Mitschuld von Österreichern an NS-Verbrechen ein. Vranitzky agiert in einer politischen Doppelrolle: Er ist nicht nur Regierungschef, sondern auch eine Art Ersatz-Bundespräsident der Republik. Kurt Waldheim ist international weitgehend isoliert und als Staatsgast nur im arabischen Raum erwünscht. Auf Kurt Waldheim folgt 1992 Thomas Klestil, der sein Amtsverständnis recht breit interpretiert und damit häufig in Konflikt mit Kanzler und Regierung gerät.

Die 90er Jahre sollten die Österreicher zu Europäern machen. Nach dem Staatsvertrag von 1955 ist der EU-Beitritt die wichtigste außenpolitische Zäsur in der Geschichte der Zweiten Republik. Die Volksabstimmung – eine Euphorie, 66 Prozent wollen in die Union. Heimat heißt nun Weite, europäisch und breiter denken. Doch gerade die neue Grenzenlosigkeit befördert das Bedürfnis nach neuer Abgrenzung. Der Jubel ist schnell vorbei. Schon der Zerfall des Eisernen Vorhangs hatte Ende der 80er Jahre die Grenzen geöffnet, viele neue Nachbarn aus dem ehemaligen Ostblock kamen ins Land. Der Fall des Eisernen Vorhangs und der EU-Beitritt sind für die einen Chance, für die anderen Bedrohung. Gut ausgebildete junge Leute arbeiten an Selbstverwirklichung und Karriere. Arabella Kiesbauer:
„Ich war die Königin meines kleinen Universums.“

Andere, vor allem ältere und schlechter Ausgebildete, sind mit wirtschaftlicher Liberalisierung und dem Abwandern ganzer Industriezweige konfrontiert; mit Lohndumping und McJobs; mit neuen Technologien wie Computer und Internet – und mit Arbeitsmigranten als Konkurrenten auf den Jobbörsen und am Wohnungsmarkt. Österreich ist jetzt Einwanderungsland, die Einwohnerzahl steigt durch Arbeitsmigration und politisches Asyl um fast eine halbe Million auf mehr als acht Millionen. Das beförderte die „Fremdenangst“. Die FPÖ unter Jörg Haider sammelt die Stimmen der Protestwähler und eilt von Wahlerfolg zu Wahlerfolg.

Die 90er Jahre werden zum Jahrzehnt der Radikalisierung der politischen Sprache und des politischen Klimas, vor allem in Asyl-und Migrationsfragen. Der Begriff „Gutmensch“ wird zum politischen Terminus, Solidarität zu einem Wert, der sich zunehmend mit der ethnischen Herkunft verknüpft. Lichtermeer kontra Anti-Ausländer-Volksbegehren. Spaltungsprozesse und Entsolidarisierung werden auch in ihrer mörderischen Ausprägung spürbar. Briefbomber Franz Fuchs fasst man erst 1997, vier Jahre nachdem die ersten Sprengkörper in der ORF-Minderheitenredaktion und bei Flüchtlingspfarrer August Janisch explodieren. „Die Bombe hat meine Arbeit im Positiven verändert. Weil ich gewusst habe: Jetzt ist meine Arbeit noch wichtiger“, so Janisch. Die Anschlagserie forderte vier Tote und 15 teils Schwerverletzte, darunter Wiens Bürgermeister Helmut Zilk.

Auch wenn die Arbeit von Caritas und Diakonie große Zustimmung in Österreich findet, die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen Kardinal Groer führen zu einer Welle von Kirchenaustritten. Groer schweigt beharrlich und tritt zurück.

Die Globalisierung ist da, mit dem World Wide Web ist man mit der Welt verbunden. Milliardenbeträge werden per Mausklick über den Globus geschoben. Das nennt man Liberalisierung der Märkte. In den 90ern beginnt auch der Angriff der Finanzwirtschaft auf die Realwirtschaft. Aktienbesitz bedeutet Gewinnmaximierung. Es geht aufwärts, immer aufwärts. Profit ist geil. Börsencrash – was ist das?

„Und da waren auch die Rettungsschwimmer von Malibu – und die Pamela Anderson“, erinnert sich der spätere Popstar Christina Stürmer, die damals noch zur Schule ging. Die 90er sind auch das Jahrzehnt eines neuen narzisstischen Körpergefühls – mit Ganzkörperrasur, Tattoo, Piercing, Brustvergrößerung – Männer lernten Parfum zu verwenden, und Frauen eroberten die letzten Männerbastionen wie das Bundesheer. Stabswachtmeister Sabrina Grillitsch: „Probleme mit selbstbewussten Frauen haben nur die Männer, die auch Probleme mit sich selbst haben.“ Privatfernsehen und Internet ziehen die Grenze zwischen privat und öffentlich neu: Intimstes wird „geoutet“, Exhibitionismus ist in, per Webcam, Chat und E-Mail sogar global. Und in der Spaßkultur des Global Village findet man auch Verwendung für Versatzstücke aus Tiroler Bergbauerndörfern. Gerry Friedle, der als DJ Ötzi mit „Anton aus Tirol“ den größten Hit der 90er hatte, meint:
„Dirndl, Tracht – da kommen wir ja her. Und für eine kurze Zeit flüchten die Leute zurück in das Vertraute.“

Die 90er Jahre bringen die Beschleunigung der Zeit, die stetige Verkürzung zwischen Ereignis und Informationen. Das Medienzeitalter ist endgültig angebrochen.

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