TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Wetterläuten im Tourismus“, von Manfred Mitterwachauer
TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Wetterläuten im Tourismus“, von Manfred Mitterwachauer
Ausgabe vom Dienstag, 9. Juni 2020
Innsbruck (OTS) – Wohin wird der „Tiroler Weg“ im Tourismus das Land nach der Corona-Krise führen? Im Herbst soll eine Strategie bis 2030 vorliegen. Der Erkenntnisgewinn ist schon im Vorfeld zu bezweifeln. Das Versprechen Klasse statt Masse wird nicht haltbar sein.
Die Tourismusglocken läuten. Wie wild. So, wie in Tiroler Bergdörfern heute noch die Kirchenglocken in Schwung gebracht werden, um Unwetter zu vertreiben, versucht der Tourismus verzweifelt, dunklen Corona-Wolken zu entkommen. Eine Adaptierung des „Tiroler Wegs“, der touristischen Strategie des Landes, soll es richten. Doch alles, was bisher an Schlagworten in den Ring geworfen wird, weckt nicht die Hoffnung auf eine Revolution, sondern schürt die Befürchtung einer Evolution Marke Hosentaschenformat.
Wer meint, die Tourismusgesinnung im Land habe erst durch das fehlerhafte Krisenmanagement in Ischgl gelitten, irrt. Das In-Zweifel-Ziehen des Tourismus als des Heiligen Grals ist bereits von den Ballungsräumen bis in so manches Tal gekrochen.
Grund hierfür ist eine Gemengelage unterschiedlichster Entwicklungen: Der Erschließungs-Gier der Liftkaiser werden seit Jahren nur punktuell Grenzen gesetzt. Anstatt den Seilbahngrundsätzen neue, zeitgemäße Leitplanken zu geben, werden sie einfach in rudimentär reformierter Form fortgeschrieben. Politische Kante? Fehlanzeige. Stattdessen mogelt sich Schwarz-Grün seit geraumer Zeit um klare Ansagen herum – im Zweifelsfall wird einfach auf laufende Behördenverfahren verwiesen. Koalitionäres Duckmäusertum schlägt ideologische Überzeugung. So ist Tirol.
Nächtigungsrekorde traut man sich im Tourismus nicht mehr mit Pauken und Trompeten zu verkaufen. Leugnen lassen sie sich nicht. Wie auch, wenn im Winter die Fernpassstrecke, das Zillertal und der Raum Kufstein bis Kitzbühel zum größten Urlauber-(Schichtwechsel-)Parkplatz des Landes mutieren? Masse sticht Klasse. Das Volksbefragungs-Nein zu neuerlichen Olympischen Spielen konnten nicht einmal die vollmundigsten Wertschöpfungs-Versprechen abwenden. Wie auch, wenn die Lebenshaltungskosten und Immobilienpreise seit Jahren durch die Decke gehen?
Nachhaltigkeit, Regionalität, Naturnähe: Das sind die Schlagworte, mit welchen die Tourismusstrategie neu tapeziert und so das negative Corona-Image Tirols übertüncht werden soll. Dieser Erkenntnisgewinn ist zu bezweifeln. Denn das Themen-Dreigestirn ist keinesfalls neu. In Nischen und Regionen wird es bereits hierzulande gelebt. Mit Erfolg. Doch dass diese Klasse die 50-Millionen-Nächtigungs-Masse ersetzt, ist ebenso realitätsfern wie der angestimmte Abgesang auf den Après-Ski. Der Tiroler Tourismus hat Klasse – die über Jahrzehnte hochgezüchtete Infrastruktur giert aber weiter nach der Masse.
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